Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
erhob sich schwerfällig. »Aber predigen darf ich sie noch immer nicht.«
»Ein Glück für die Graffiti-Sprayer.«
Pfarrer Fink kniff die Augen zusammen und ließ den Schalk aufblitzen, der gern aus ihnen funkelte. »Was willst du eigentlich, Flemming?«
Paul betrachtete seinen späten Gastgeber mit Sympathie. Er freute sich immer, wenn er mit dem Pfarrer zusammentraf. Schon als sie sich kennen gelernt hatten – das mochte so elf oder zwölf Jahre her sein –, hatte er ihn gleich gemocht. Damals hatte Paul im Auftrag irgendeiner Zeitung bei irgendeinem Anlass in St. Sebald Aufnahmen gemacht. Fink war aufgefallen, wie wohltuend kreativ sich Paul bei der Motivsuche von den anderen Knipsern abhob. Umgekehrt hatte Paul Finks unorthodoxe Art der praktizierten Religiösität beeindruckt. Aus reiner Nachbarschaft entwickelte sich bald eine Freundschaft, die gleichermaßen durch viele ernste Gespräche wie durch belanglose Albernheiten vertieft wurde.
Fink taxierte seinen Besucher kurz und folgerte: »Keinen Platz im Goldenen Ritter erwischt?«
»So direkt hätte ich es nicht ausgedrückt.« Paul ließ feine Steinkörnchen, die sich aus dem Putz der Wände gelöst hatten, unter seinen Füßen auf den Marmorfliesen knirschen.
»Dann sag es indirekt.«
»Ja, gut. Ein oder zwei Gläser könnte ich jetzt vertragen. Bei mir ist eingebrochen worden.«
»Komm mit«, sagte der Pfarrer ohne jedes Zögern. Er durchquerte das Gewölbe zielsicher bis zur modernen Orgel, einem stilistischen Fremdkörper, der an der sandsteinernen Südfront vor den hochgezogenen Mosaikfenstern wie eine Schrankwand aus dem Möbelprospekt wirkte. Jeder seiner Schritte klang deutlich im Kirchenschiff wider. Fink ließ die haushohen, aluminiummatt schimmernden Orgelpfeifen links liegen und führte ihn zu einer kaum erkennbaren Tür an der Flanke des riesigen Instruments. Die Tür führte geradewegs in das Innere der Orgel. Er sah eine wüste Ansammlung von Kabeln, Luftschläuchen und Berge von Notenheften.
»Als die neue Orgel in den 70er Jahren eingebaut wurde, hat man zwar einen innenarchitektonischen Frevel begangen, aber eines nicht vergessen«, holte Fink mit salbungsvoller Stimme aus. Er lenkte Paul durch das Gewirr von Strippen zu einer weiteren Tür. Dahinter verbarg sich ein winziger Raum mit kompaktem Zweiersofa, Nachttischchen – und einer stattlichen Minibar.
»Mit Kirchensteuergeldern für das Abendmahl gekauft, verwerflicherweise vom Kirchendiener unterschlagen, für die besondere Verwendung an dieser Stelle versteckt und …«, er zauberte einen Korkenzieher aus seinem dunkelgrauen Mantel, ließ den Korken ploppen und reichte Paul die Flasche, »und von uns in der Stunde der Not geleert.«
»Was wird der Kirchendiener dazu sagen?«
»Wenn er schlau ist, gar nichts.« Fink nickte Paul aufmunternd zu. »Trink und freunde dich mit dem Gedanken an, den Einbrechern zu vergeben. Das waren arme Schlucker, die gedacht haben, sie könnten vom Reichtum eines stadtbekannten Fotografen profitieren.«
»Reichtum?« Paul verschluckte sich an dem staubtrockenen Messwein. »Jetzt hör aber auf. Wenn du dich schon über ein paar lausige Graffiti aufregst, dann soll ich den Einbruch in mein Haus, in meine Intimsphäre, einfach so wegstecken?«
Paul redete jetzt so laut, dass das Echo jedes seiner Worte vom spinnennetzartigen Rippengewölbe klar und scharf zurückgeworfen wurde.
Der Pfarrer nahm die Flasche aus seinen Händen, ließ seine hervortretenden braunen Augen lächeln und nahm einen tiefen Schluck Wein, bevor er sagte: »Was uns widerfahren ist, ist nichts gegen die wahren Unbillen des Lebens.«
»Hannes, ich weiß nicht, ob dein klerikales Ge…«, protestierte Paul zögerlich.
»Als ich die Witwe von Helmut Densdorf trösten musste – in ihren schlimmsten Stunden –, da lief es doch wie immer ab. Ich habe ihr im Geiste die Hand gehalten, ihr beigestanden. Aber der da oben hat mich mit dieser schweren Arbeit allein gelassen. Jeder weiß, dass Densdorf das Gegenteil von dem war, was man als christlich bezeichnen kann. Das sechste Gebot hat er so offensichtlich mit Füßen getreten, dass es offensichtlicher gar nicht ging.« Die Flasche wanderte abermals zu seinem Mund.
»Er soll – Gott behüte – sogar versucht haben, sich am Christkind zu vergreifen.«
»An Hannah?«, Paul konnte seine Überraschung kaum verbergen.
»Ja, und nicht nur an ihr. Zumindest von einer ihrer Vorgängerinnen weiß ich, dass sie sich in
Weitere Kostenlose Bücher