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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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sicher zuzuordnen waren. Paul versuchte sich an die Aufregung um das Bild Dürers Mutter zu erinnern: Ein Bild, das jahrelang unbeachtet in den Archiven des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg gelagert hatte, war von Experten vor wenigen Jahren plötzlich als Dürer-Original erkannt worden. Andere Experten wollten das nicht glauben und hatten es einem unbekannten Künstler aus dem fünfzehnten Jahrhundert zugeschrieben.
    Wieder meinte Paul ein feines Kratzgeräusch gehört zu haben. Aber er beschloss, es auch dieses Mal zu ignorieren. Er starrte durch das Oberlicht in den klaren Nachthimmel und sponn weiter seine Gedanken.
    Seiner Erinnerung nach hatte bereits Ende der siebziger Jahre eine US-Kunsthistorikerin besagten Frauenkopf Albrecht Dürer zugeordnet. Sie war darauf gekommen, nachdem sie Ähnlichkeiten mit einem in den Florenzer Uffizien hängenden Dürer-Bildnis festgestellt hatte, das seinen Vater darstellte. Manche Forscher teilten ihre Ansicht, doch blieben in der Fachwelt starke Zweifel an der Echtheit. Erst ein Vierteljahrhundert später wurden beide Elternbildnisse in Wien wissenschaftlich untersucht. Auf Basis einer – wie sich Paul entsann – reinen Indizienkette wurde das Bild dann offiziell in den Kreis der anderen originalen Dürer-Gemälde aufgenommen, obwohl einige Fachleute ihre Zweifel nie ablegten. Diese Zweifel machten Paul misstrauisch. Er fragte sich, wie stark die Konservatoren an der Wahrheit interessiert waren und wie weit an der Aufrechterhaltung des Mythos Dürer.
    Ein neues Geräusch durchschnitt die nächtliche Stille in seiner Wohnung. Diesmal deutlich lauter und klarer. Paul war nicht allein.
    Ruckartig setzte er sich auf. Im ersten Moment kam ihm der abwegige Gedanke, die Kriminalbeamten wären zurückgekommen. Vielleicht, weil sie etwas vergessen hatten. Dann hörte er das leise Klirren von Geschirr.
    Im Nu war er auf den Beinen. Von der Wirkung des Alkohols spürte er nichts mehr. Er fühlte, wie sich seine Brustmuskulatur instinktiv spannte, als er die wenigen Schritte zu seiner Küchenzeile eilig zurücklegte. Im Stillen verfluchte er sich dafür, beim Eintreten das Licht nicht eingeschaltet zu haben.
    Wieder ein feines Klirren. Paul spürte sein Herz wild schlagen. Er war nicht ängstlich veranlagt und wusste, dass er sich verteidigen und es mit einem potenziellen Angreifer aufnehmen konnte. Dennoch: Die Angst steckte in ihm und machte seine Bewegungen starr und ungelenk.
    Er hatte jetzt die Küchenzeile erreicht und tastete sich langsam zum Lichtschalter vor. Noch drei Schritte, noch zwei, noch einer. Die Fingerkuppen seiner rechten Hand berührten den Schalter.
    Das, was er im gleichen Moment aus den Augenwinkeln wahrnahm, war eine schwarze Gestalt ohne Gesicht. Er riss den Kopf herum, doch es war bereits zu spät. Ein Schlag von der Wucht eines schweren Hammers traf ihn an der Schläfe. Paul taumelte, verlor aber nicht das Bewusstsein. Er sah Sterne oder vielmehr helle Lichtblitze. Alles drehte sich um ihn. Trotzdem gelang es ihm, all seine Kräfte zu bündeln und nach dem Schatten zu greifen.
    Er hielt den rauen Stoff eines Mantels in den Händen und riss daran. Die Gestalt reagierte heftig, und Paul wurde abermals von einem kraftvollen Schlag getroffen. Er taumelte zurück, stützte sich an der Küchentheke ab und fegte dabei das zum Trocknen aufgeschichtete Geschirr von der Abstellfläche.
    Inmitten des ohrenbetäubenden Klirrens von berstendem Porzellan holte sein Gegner zum dritten und letzten Schlag aus. Er traf Paul in der Magenkuhle, woraufhin er wie ein Klappmesser zusammenfuhr.
    Schmerzerfüllt blieb Paul in den Scherben liegen und beschimpfte den – wer auch immer es war –, der ihm das angetan hatte.
    Lange Sekunden verstrichen ungenutzt. Paul zwang sich zur Vernunft: Es machte keinen Sinn, in einer solchen Situation weiter den Helden zu spielen. Der andere hatte ohnehin längst die Wohnung verlassen. Paul atmete tief durch. Ein Mal, zwei Mal, zehn Mal. Mit noch immer wild schlagendem Herzen stand er mühsam auf und hangelte sich an der Küchentheke entlang in Richtung Telefon.
    Für unsichere Momente schwebten seine zitternden Finger über den Tasten, und er war sich nicht sicher, ob er zuerst den Notarzt oder die Polizei anrufen sollte.
    Schließlich legte er das Telefon wieder beiseite und sah an sich herunter. Schlimm verletzt hatte er sich bei dem kurzen Kampf wohl nicht, zumindest spürte er keine Schmerzen, die auf mehr als ein paar blaue Flecke

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