Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
psychiatrischer Behandlung deswegen befindet.«
»Böse Sache«, stammelte Paul.
»Ja.« Pfarrer Fink hielt die Flasche fest umklammert. »Außerdem war er hochbetrunken, als er in die Pegnitz stürzte.«
»Ja, das sagt man. Aber woher weißt du das?«
»Aus der Zeitung.« Auf Pauls erstaunten Blick hin ergänzte er: »Nicht aus der, die du liest, sondern aus der seriösen Konkurrenz.«
Paul nickte. Er schloss daraus, dass Katinka Blohm inzwischen zumindest mit einem Teil ihrer Ermittlungsergebnisse an die Öffentlichkeit getreten war. »Irgendwelche neuen Details?«, fragte er.
»Sie haben einen Promillegehalt festgestellt, mit dem er seinen Führerschein für das nächste Jahr ganz sicher losgewesen wäre. Den Alkohol muss er sich einverleibt haben, kurz bevor er in die Pegnitz fiel.«
Das ist nichts wirklich Neues, dachte Paul, sagte aber: »Ein böser Tod, selbst für einen Mistkerl.«
»Da haben wohl Gott und Teufel gemeinsam die Hände im Spiel gehabt.«
Ein lautes Knarren ließ die beiden aufschauen. Sie verließen die Orgel. Paul empfand die dunkle Leere des Sakralbaus plötzlich als unheimlich, die Ruhe in den dunklen Augen des Pfarrers besänftigte ihn aber.
»Keine Sorge, das sind nur unsere menschlichen Mäuse.«
»Bitte was?«, fragte Paul irritiert.
»Wir haben Untermieter im Dachstuhl. Offiziell darf ich davon nichts wissen, weil ich sie sonst verscheuchen müsste. Das sind bemitleidenswerte Gestalten. Brauchen im Winter eine frostsichere Bleibe. Der Dachstuhl unserer Kirche ist trocken und einigermaßen warm. Sollen sie doch unter Gottes schützender Hand nächtigen.« Und mit erhobener Stimme fügte er scharf hinzu: »Solange sie nichts mitgehen lassen.«
10
Paul schaltete das Licht nicht ein, als er wenig später durch seine verwüstete Wohnung ging. Müde streifte er die Schuhe ab, ließ den Mantel nachlässig auf den Flurboden gleiten und legte sich erschöpft auf sein Sofa unterhalb des Oberlichts.
Die Fakten, die Paul bisher gesammelt hatte, waren dünn. Den Wein des Kirchendieners schwer in seinen Gliedern spürend, rekapitulierte er die Ereignisse der vergangenen Tage: Da waren zwei Tote. Über den einen, den Handwerker im Dürerhaus, wusste er nach wie vor so gut wie nichts. Über den anderen, Helmut Densdorf, immerhin, dass er ein untreuer Ehemann gewesen war und sich vor seinem Tod ungewöhnlich plötzlich und intensiv mit Albrecht Dürer beschäftigt hatte – was auch immer man sich darunter vorzustellen hatte. Außerdem gab es die große Unbekannte, den Schatten – das Phantom.
Die zentrale Frage blieb: Warum hätte diese Unbekannte Densdorf in die Pegnitz stürzen sollen? Er spielte zum wiederholten Mal durch, welche Personen er mit Densdorf in Verbindung bringen konnte. Doch seine Überlegungen blieben spekulativ. Vielleicht würde er sich wirklich einmal mit der Erlanger Dürer-Expertin unterhalten müssen. Er überlegte, ob er dazu Katinkas oder Blohfelds Rückendeckung benötigen würde oder allein damit klarkam.
Er war inmitten seiner Grübeleien, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Es war ein leises Kratzen, kaum wahrzunehmen, und er beschloss in seiner momentanen Lethargie, es nicht weiter zu beachten.
Was noch? Warum hatte sich Densdorf meterweise Kunstbücher ausgeliehen und noch im Todeskampf über Dürer fabuliert?
Dürer – Paul hatte seine Wissenslücken über Dürers Leben inzwischen immer besser schließen können. Etwa die über Dürers Vertriebswege. Die waren außerordentlich fortschrittlich gewesen: Dürer hatte für die Vervielfältigung seiner Werke eine Vorstufe der modernen Druckerpressen verwendet. Er hatte sogar ein Netz aus Agenten gesponnen, die seine Bilder international vermarkten sollten.
Dieses Wissen hatte Paul vor allem der Erlanger Dürer-Forscherin zu verdanken. Er nahm eine ihrer jüngsten Veröffentlichungen zur Hand, die er aus der Zeitung ausgerissen hatte und die wie durch ein Wunder trotz des verwüstenden Einbruchs noch immer auf seinem Couchtisch lag, und las zum wiederholten Male darin. Merkwürdig – die Kunsthistorikerin war einerseits eine der intimsten Kennerinnen und glühendsten Verehrerinnen Dürers und brandmarkte ihn im selben Atemzug als Fälscher. Unermüdlich listete sie Beweis um Beweis für sein angeblich falsches Spiel auf. Einige fand Paul eingängig und überzeugend, andere an den Haaren herbeigezogen.
Zugegeben: Es hatte schon mehrfach Indizien dafür gegeben, dass Dürers Werke nicht immer
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