Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
sonst schien Hannah mit aller Gewalt nicht dem Bild entsprechen zu wollen, das Paul von der Jugend hatte. Zugegeben: Sein Abstand vergrößerte sich seit seinem dreißigsten Geburtstag rapide, und das meiste, was er über die Kids von heute wusste, hatte er mangels eigenem Nachwuchs im Fernsehen aufgeschnappt. Aber diese Hannah war etwas Besonderes. Sie fügte sich in kein vorgefertigtes Klischee.
Gesättigt traten sie den Rückweg an. Als sie den Weinmarkt erreichten, kamen ihnen Pauls Bäcker und dessen Frau entgegen. Paul beobachtete amüsiert den empörten Blick der beiden, die sie taxierten wie zwei Aussätzige. Hannah hatte sich bei ihm untergehakt, so dass sie wie ein Paar wirkten. Er konnte sich das Gespräch des Bäckers mit seiner Frau ausmalen, das folgen würde, sobald sie die nächste Ecke hinter sich hatten: »Das Mädchen ist ja noch ein halbes Kind!«
»Jetzt macht er vor nichts mehr Halt.«
Hannah knuffte ihn in die Seite: »Warum grinsen Sie?«
Paul antwortete ihr nicht.
»Also gut«, sagte er, als sie den Flur seines Hauses betraten. »Ich mache ein paar Porträtaufnahmen.«
»Spießer«, zischte Hannah und musste sich in ihren schlechtesten Gedanken über ihn bestätigt fühlen.
»Ich kann dir Flemming-Originale zeigen, bei denen dir die Ohren schlackern«, verteidigte sich Paul und fixierte sie mit festem Blick. »Aber ich werde nicht derjenige sein, der das Christkind von seinem Podest stürzt. Du bekommst von mir anständige Aufnahmen zu einem anständigen Preis. Wir machen erotische Fotos, wenn du willst. Erotische Bilder, für die du dich nicht auszuziehen brauchst.« Sie zog eine Flappe.
»Ich mache Erste-Klasse-Fotos. Auf Wunsch verrucht, meinetwegen. Meine Aufnahmen sind …«
»Ach, du große Scheiße!«, Hannah blieb im Türrahmen seiner Wohnung stehen.
Auch Paul erstarrte. »Oh, verflucht!« Er schaute sich hektisch um. »Was für ein verfluchter Mist!«
Zwei Mal war ihm bereits das Auto aufgebrochen worden. Das erste Mal während eines Urlaubs in Südfrankreich, den er mit seiner Ex-Freundin verbracht hatte. Die Diebe hatten die Zentralverriegelung geknackt und den Wagen durchwühlt. Es war nichts Wertvolles verloren gegangen, aber beide hatte damals ein tiefes Gefühl der Verletzlichkeit befallen. Das zweite Mal war ihm die Scheibe zum Beifahrersitz eingeschlagen worden. Ausgerechnet in der Tiefgarage eines noblen Hamburger Fischrestaurants. Die Diebe hatten Pauls Handy und seine zwanzig Jahre alte Lieblings-Nikon mitgehen lassen, die er dummerweise auf dem Rücksitz hatte liegen lassen. Wieder hatte er sich verletzt und gedemütigt gefühlt. Doch all das war nichts gegen die totale Niedergeschlagenheit, die ihn ergriff, als er jetzt seine verwüstete Wohnung betrat und die mit animalischer Wollust zerfetzten Reste seiner Werke betrachten musste.
»Hier hat sich einer sauber ausgetobt«, stammelte Hannah.
»Die schönen Akte«, jammerte sie, als sie die Fetzen der Mokkabraunen von der Wand hängen sah.
Paul ging unsicheren Schrittes durch sein Atelier. Er tastete sich zögernd durch die Trümmer seiner Einrichtung, fassungslos und ohne den Funken einer Ahnung, was ihm widerfahren war. Er stolperte über einen halb geleerten Karton geradewegs auf sein Sofa und ließ sich auf den Rücken fallen. Der Mond stand direkt über dem Haus, und als Paul ins Oval des Oberlichts starrte, erschien es ihm als übergroßes Auge, das ihn böse ansah.
9
Die Kripo arbeitete mit Tesafilm. Das war Paul neu. Zwei Beamte von der Spurensicherung bestrichen Türklinken, seine blaue Weihnachtskeksdose mit den goldenen Sternen drauf und andere Gegenstände, die eine glatte Oberfläche hatten, mit einem feinen schwarzen Pulver, pusteten ganz sachte darüber und klebten einen Streifen Tesa darauf. Sie zogen ihn wieder ab, und es waren zu seinem Erstaunen tatsächlich so etwas wie Fingerabdrücke darauf zu erkennen.
»Das sind wahrscheinlich Ihre eigenen«, sagte einer der Spurensicherer lapidar. »Profis tragen Handschuhe und hinterlassen keine Fingerabdrücke.«
»Warum machen Sie sich dann die Mühe?«, fragte Paul.
»Man kann nie wissen«, entgegnete der andere Spurensicherer und zog wieder einen Streifen Klebeband von der Rolle.
Paul stand der Sinn danach, sich zu betrinken. Es war inzwischen längst neun Uhr abends durch. Er konnte seinen Kummer beim Iren in der Weißgerbergasse mit zwei oder drei Guinness ertränken. Oder mit Weißwein drüben bei Jan-Patrick. »Kann ich hier noch
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