Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
sogar mit Austauschverboten belegt worden sind. Die Stadt will ihre letzte Chance nicht vertun, Dürer dahin zurückzuholen, wo er hingehört. Die Wiedereröffnung des Dürerhauses wird ein Ereignis von Weltrang sein. Die Internationale Presse hat sich angekündigt. Man legt größten Wert darauf, die Aufmerksamkeit jetzt nicht auf irgendwelche vermeintlichen Skandale zu lenken.«
»Jetzt reden Sie selbst wie einer dieser Politiker«, sagte Paul.
»Genau. Sie haben es erfasst. Es geht hier um Politik, was die Angelegenheit nicht einfacher für uns macht. Denn Nürnberg steht unter dem enormen Druck, zwischen all den schillernden europäischen Wirtschafts- und Kulturmetropolen nicht völlig zu verblassen und in der Provinzialität zu versinken. Dürer ist das einzige echte Aushängeschild von internationaler Durchschlagskraft – abgesehen von den Bratwürsten vielleicht.«
»Aber gerade dieses Festklammern an einer Ikone ist doch provinziell!«
»Sie sagen es Flemming, Sie sagen es.«
»Wie sieht unser Plan also aus?«, fragte Paul.
»Wollten Sie mir nicht etwas zu trinken anbieten?«, fragte Blohfeld zurück.
Paul stand auf und verschwand hinter seiner Küchenzeile.
»Bier, Wein oder einen Sherry?«, rief er.
»Ein wenig härter darf’s schon sein.«
Paul zog den Kühlschrank auf und nahm die Eiswürfelschale aus dem Gefrierfach. Mit einem gut eingeschenkten Whiskyglas kehrte er zu Blohfeld zurück.
Zu seinem Missfallen sah er, dass der Reporter die graue Mappe inzwischen aufgeschlagen hatte und dabei war, die darin enthaltenen Schwarzweißabzüge über den Couchtisch zu verteilen.
»Diese Akte sind recht gewagt«, sagte Blohfeld. »Ist das noch Kunst oder schon …«
»Sagen Sie jetzt nichts Falsches«, Paul stellte das Whiskyglas mit Wucht auf den Tisch. Die Eiswürfel tanzten nervös im ölig braunen Alkohol.
»Wieso? Sprechen Sie nicht gern über Ihre Arbeit?«, fragte Blohfeld mit provozierendem Funkeln in den Augen. Er schloss die Finger seiner Rechten um das Glas. Er nahm einen vorsichtigen Schluck, nickte zufrieden und sagte: »Jaja, ich kann mir das gut vorstellen: Dieser ständige Spagat zwischen Anspruch und Schund – er muss Ihnen schwer fallen.«
Paul war drauf und dran, die Aktfotos zusammenzuklauben und zurück in die Mappe zu stecken. Aber das würde Blohfelds Unterstellung nur noch bestätigen. Es war ja tatsächlich so, dass Paul ein Vermittlungsproblem mit seinem Interesse für Sexualität und nackte Körper hatte. Denn im Zusammenhang mit seinem Aussehen wurde er nur allzu oft vorschnell als Frauenheld abgestempelt – oberflächlich, ohne jeglichen geistigen Tiefgang. Das kränkte ihn und machte es nicht gerade einfacher, seinen Interessen nachzugehen. Blohfeld gegenüber wollte er sich jedoch nicht offenbaren. Also lehnte er sich zurück und schlug in gespielter Gelassenheit die Beine übereinander.
Der Reporter stellte das Glas zurück und nahm sich stattdessen eines der Bilder vom Tisch. Es war eines der wenigen von Pauls Bildern, das ein Paar zeigte. Der Reporter schob die filigrane Brille bis fast ans Ende seiner spitzen Nase. »Was sehen wir hier? Eine junge Frau, die so ausgestellt ist, dass man sie in gedruckter Form unterm Ladentisch verkaufen möchte. Sie liegt auf …«, er blickte kurz auf, »sie liegt auf Ihrem Sofa. Sie ist über den Schoß eines Mannes gebeugt. Der Mann ist offenbar, ja, er ist höchst offenbar erregt. Die Frau nimmt sich seiner Regung an, während ihre langen Haare über seinen Waschbrettbauch streichen.« Blohfeld tauschte das Bild wieder gegen sein Whiskyglas ein. »Im Internet würde ich ein ähnliches Foto sehr schnell finden, wenn ich den Begriff ›Blow job‹ eingeben würde.«
So nicht! Pauls beruflicher Stolz duldete es nicht länger zu schweigen. Nun nahm er das Bild, das er eigentlich selbst für nicht besonders gelungen hielt, und forderte mit leicht zitternder Stimme: »Putzen Sie sich bitte erst einmal die Gläser Ihrer Brille und schauen Sie dann genauer hin.«
Tatsächlich griff Blohfeld automatisch nach seiner Brille, ließ sie dann aber doch da, wo sie war.
»Was sehen Sie?«, fragte Paul forschend und hielt dem anderen das Foto hin. »Was genau sehen Sie?« Er ließ dem Reporter einige Momente Zeit. »Können Sie wirklich etwas erkennen? Ist das Ganze nicht eher nur ein Schattenriss, der Ihre Phantasie anregt?«
Blohfeld lachte in sein Whiskyglas.
»Ich sehe zwei Figuren, die selbst kaum beleuchtet und noch dazu im
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