Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
zu werden.
Paul kürzte ab, indem er sich zwischen zwei eng geparkten Autos hindurchzwängte. Der Verfolgte aber ließ sich nicht einholen und beschleunigte das Tempo.
»Er entkommt uns!« rief Blohfeld »Machen Sie schneller, Flemming!«
Im gleichen Augenblick hatte der Mann die steinerne Treppe erreicht, die hinauf zur Lammsgasse führte. Ihre Stufen waren mit blank poliertem Eis überzogen. Paul spürte wieder seine alte Sportverletzung und strauchelte schon beim ersten Schritt. Blohfeld gab nach der vierten Stufe auf. Geschlagen mussten sie zusehen, wie der Unbekannte um die nächste Häuserecke verschwand.
»Man lauert Ihnen auf«, sagte Blohfeld außer Atem, als sie den Rückweg zu Pauls Wohnung aufnahmen. »Sie wissen ja, dass ich kein besonderer Freund der Polizei bin, aber sollten Sie diesen Vorfall nicht besser melden?«
Paul neigte dazu, ihm zuzustimmen. Sein Unsicherheitsgefühl wuchs. Aber er war niemand, der sich ins Bockshorn jagen ließ. Plötzlich hatte er wieder den Abend auf dem Bierfest im Burggraben vor Augen: das ungerechtfertigte Verhör und seine Nacht im Gefängnis. Nein, sagte er sich, nein. Jetzt erst recht nicht! Es war abzusehen, dass die Polizei außer Fragen zu stellen nicht viel für ihn tun konnte.
Er hielt also an seiner Einladung fest und bat Blohfeld in seine Wohnung.
»Sie glauben wirklich, dass die Staatsanwaltschaft den Fall Densdorf fallen lässt?«, griff Paul ihr ursprüngliches Gespräch wieder auf und deutete auf sein Sofa.
Doch Blohfeld kam es offenbar nicht in den Sinn, sich zu setzen. Er überflog die Titel der Kunstbände in Pauls Regalen, streifte mit Blicken die Bilder an den Wänden, die Paul nach den Einbrüchen wieder aufgehängt hatte. »Ich denke, man war mit der ursprünglichen Unfallversion ganz zufrieden.«
»Man? Sie sprechen von Katinka Blohms Vorgesetzten?«
Blohfeld nahm sich eine mattgraue DIN-A3-Mappe von einem Sideboard und kam damit zum Sofa, wo Paul bereits Platz genommen hatte. »Für mich hörte es sich an, als hätte ihr Boss von seinem Boss das Gleiche zu hören bekommen. Die wollen einfach keine Unruhe in Zusammenhang mit unserem heiligen Albrecht Dürer.«
»Die?«, fragte Paul.
Blohfeld ging auf diese Nachfrage nicht ein. »Was glauben Sie, warum uns die Blohm so auskunftsfreudig gegenübertritt? Aus reiner Nächstenliebe bestimmt nicht. Sie füttert uns an, um im Gegenzug Informationen von uns zu erhalten. Sie ist Profi genug, um die lose Bekanntschaft mit Ihnen dafür auszunutzen. Und sie hat diese Tricks offenbar bitter nötig, denn etwas Greifbareres als wir scheint sie auch nicht in der Hand zu haben.«
Paul hatte keine Lust mit Blohfeld über Katinkas Taktik zu spekulieren und sagte: »Ich bin der Letzte, der nicht Verständnis für jede Art der Ehrenrettung Dürers hätte, aber geht das nicht zu weit?«
»Das fragen Sie noch?« Blohfeld bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. »Nürnbergs Verhältnis zu Albrecht Dürer ist wie die Liebe zu einem alten, wertvollen Schmuckstück. Man kennt seinen Wert, bewundert seinen Glanz, sucht nach der optimalen Präsentation und lässt es dann unentschlossen in der Versenkung verschwinden. Wie das Geschenk der Patentante, das in der Schublade landet.«
»Aha«, sagte Paul wenig schlauer.
»Was den berühmtesten Sohn der Stadt angeht, haben sich in Nürnberg immer wieder Phasen glühendster Verehrung mit Zeiten des Vergessens abgewechselt«, dozierte Blohfeld. Er schien sich tatsächlich darüber zu ärgern, als er sagte: »Es waren kurzsichtige Ratsentscheidungen, die Nürnberg ins kunsthistorische Abseits geschoben haben.«
»Sie spielen auf die Dürer-Originale an, die nach und nach weggegeben worden sind?«
»Ja, so kann man es nennen. Ob blauäugig oder aus kurzsichtiger Berechnung – die meisten Originale bleiben uns heute vorenthalten. Genau da kommen wir zum Knackpunkt: Nürnberg hat sich inzwischen endlich seiner Pflichten besonnen. Das Dürer-Jahr. Die Dürerhaus-Sanierung. Die Kurskorrektur im Germanischen Nationalmuseum. Die ganze Stadt liegt im Dürer-Fieber. Auch die Justiz fühlt sich diesem neuen Denken verpflichtet.«
»Sie meinen, das Dürer-Andenken steht über der Aufklärung von zwei Morden?«, fragte Paul noch immer wenig überzeugt.
Blohfeld setzte sich ihm direkt gegenüber und blickte ihm geradewegs in die Augen: »Dürers fünfhundert Jahre alte Meisterwerke sind so kostbar und fragil geworden, dass viele von ihnen nicht nur mit Reise-, sondern
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