Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
entschied, sich nicht länger nach den Anordnungen der Volontärin zu richten und Blohfeld in seiner Konzentration zu stören. Er klopfte an die Tür zur Lokalredaktion, die ohnehin nur angelehnt war. »Passt es jetzt?«, fragte er in den Raum.
»Kommen Sie rein«, sagte Blohfeld geistesabwesend.
Seine Augen waren rot umrandet, er lächelte bemüht. Paul musterte die Schreibtische mit ihren abgewetzten Oberflächen, die wüsten Papierberge, das ungespülte Geschirr auf einem altersschwachen Sideboard. Blohfelds Platz war durch eine Sperrholzwand, die in halber Höhe mit Scheiben versehen war, vom Rest des Großraumbüros getrennt. Wenigstens ein kleiner Komfort in dieser trostlosen Buchstabenschmiede. »Sie kommen wohl nicht recht voran mit Ihrem Text, was?« fragte Paul. »Zu komplizierter Sachverhalt?«
Blohfeld schüttelte bedächtig den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Es ist insgesamt alles zu glatt und geradlinig.«
»Aber es ist Ihre eigene Theorie«, betonte Paul.
»Sicher«, sagte der Reporter zögerlich. Seine grauen Haare wirkten strähnig und fielen ihm in die Stirn. »Soll ich Ihnen sagen, was mir an der Sache nicht passt? Mir passt es nicht, dass ich das Gefühl habe, das alles schon einmal erlebt zu haben.«
Paul ahnte den Grund für Blohfelds innere Konflikte. War es nicht damals in Hamburg, bei dem großen Magazin, ähnlich gewesen? Hatte Blohfeld dort nicht auch angefangen, sich die Dinge zurechtzulegen, wie sie ihm passten, und hatte er nicht ebenso starrsinnig versucht, der vermeintlichen Wahrheit auf die Sprünge zu helfen?
Paul ließ seinen Blick noch einmal über den Arbeitsplatz des Reporters gleiten. Er sah Unordnung, jede Menge sogar, aber keinen Hinweis auf etwas Persönliches. Auch die Wände waren kahl bis auf ein paar Cartoons und das Zitat eines Unbekannten, das aus irgendeinem Buch herauskopiert und vergrößert worden war: Vielleicht ist er nur ein Reporter, weil, Reporter sind auch nie zu Haus, weil sie nur rauchen und saufen, und dann kommen die Weiber zu Besuch.
Paul dachte über die Belanglosigkeit dieses Satzes nach und bemerkte im gleichen Moment, dass er mit dem Spruch eben doch etwas Persönliches entdeckt hatte. Sogar mehr als das. Blohfeld gab sich preis mit diesem Satz – er zeigte seine innere Leere.
»Sie glauben also, dass wir doch einen Fehler begangen haben?«
»Vor allem ich«, sagte Blohfeld matt. Sein Gesicht wurde plötzlich ganz grau. »Ich werde Ihnen mal etwas erzählen, und ich erwarte, dass Sie darüber ebenso schweigen, wie ich meinen Mund halten werde, was Ihre Beteiligung an der Verhaftung der Karczenko anbelangt.«
Blohfeld sprach über eine andere Zeit – die vor seinem alles verändernden Skandal. Er sparte nicht mit Worten und schilderte ein Leben in Farben, die Paul zunächst viel zu schrill und hell erschienen im Vergleich zur trostlosen Eintönigkeit des Redaktionsbüros, in dem er nun saß.
Der Reporter blendete zehn Jahre zurück und offenbarte zu Pauls großem Erstaunen Details über seine kurze, goldene Karriere als Kunstfahnder mit halbjährlich neuen, rekordverdächtigen Außer-Tarif-Gehältern. Die Verlagsleitung spielte bereitwillig mit, denn durch Blohfelds Einsatz tauchte ja so manches vermeintliche Highlight auf.
»Mein Verlag bezahlte mir am Schluss sogar ein Ticket nach Kalifornien. Natürlich erster Klasse.« Dort engagierte Blohfeld einen Schauspieler. Mit einer gecharterten Yacht und einer gemieteten Limousine – Insignien in der Welt des Kapitals – sollte der Mann einen steinreichen Kunstmäzen geben und Interesse am Kauf eines angeblich von den Nazis konfiszierten Renoir vortäuschen.
»Kurz danach flog dann auf, dass ich die ganze Zeit über diesem Betrüger auf den Leim gegangen war.« Blohfeld schmunzelte wehmütig. »Es war ein feines Leben mit Austern, Champagner und wirklich tollen Frauen. Aber leider habe ich die Illusion mit der Realität verwechselt. Wie auch jetzt.«
»Das heißt?«, fragte Paul zögernd.
»Dass ich die Story nicht bringen kann.«
»Aber die Karczenko wird in diesen Minuten verhört. Das ist Ihre Chance auf Rehabilitierung! So eine gute Geschichte finden Sie in den nächsten Jahren bestimmt nicht wieder.«
»Danke für Ihre Bemühungen, aber ich lasse mich von Ihnen nicht zum Jagen tragen. Nein bedeutet bei mir Nein.«
Paul war perplex. Ratlos sah er den Reporter an. »Woher kommen diese plötzlichen Zweifel?«
»Wie gesagt: Es läuft mir alles zu glatt. Ich möchte nicht derjenige sein,
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