Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
Schritte weg von Altar und Kruzifix an die poröse Sandsteinmauer des Westchors. »Ich sehe es dir an, mein Lieber«, tastete sich der Pfarrer behutsam vor. »Es ist etwas Schlimmes passiert, und du weißt nicht, mit wem du darüber reden kannst.«
    Paul nickte zögernd, denn ihm wurde erst jetzt klar, dass er den Weg in die Kirche wahrscheinlich aus genau diesem Grund gewählt hatte. »Eine junge Frau ist heute früh tot aufgefunden worden. Wahrscheinlich vergewaltigt und ermordet.«
    »Und du kanntest das Mädchen?«, fragte Fink, wobei er ihn sorgenvoll musterte.
    Paul nickte. Er erzählte dem Pfarrer das Wenige, was er von Antoinette wusste. Allerdings sparte er Blohfelds undurchsichtige Rolle dabei vorerst aus.
    Fink schwieg einen Moment, um das Gehörte zu verarbeiten. Dann drehte er sich um und deutete auf die Kindermalereien. »Siehst du diese kleinen Kunstwerke?«, fragte er.
    Paul sah sich die Bilder näher an. Eines zeigte einen lumpig gekleideten Mann vor einem Haus, auf dessen Fenstersims sich eine Frau lehnte. Vom Dach des Hauses hingen überlange Eiszapfen. Die kleine Malerin, laut Bildunterschrift eine zehnjährige Sarah, hatte der Frau einen staunenden Gesichtsausdruck verpasst.
    Ein weiteres Bild stellte eine Gruppe von Menschen dar. Ein siebenjähriger Lars hatte einer der Figuren einen Heiligenschein aufgesetzt, eine andere Figur kauerte ohne Beine und Füße am Boden und reichte dem Heiligen ihre Hand.
    »Interessant«, sagte Paul etwas unbeholfen, weil er nicht wusste, worauf Fink hinauswollte.
    »Die Bilder sind nach dem letzten Kindergottesdienst entstanden«, erklärte der Pfarrer. »Die Kids haben sich mit unserem Stadtpatron, dem heiligen Sebaldus, auseinandergesetzt und mit den Wundern, die ihm zugeschrieben werden.« Fink deutete auf das erste Bild: »Das Eiszapfenwunder. Weil Sebaldus fror, bat er einen Mann, für ihn im Haus ein Feuer zu machen. Als dieser ablehnte, bat St. Sebald dessen Frau, ein paar Eiszapfen vom Hausdach brechen zu dürfen. Mit denen schürte er das Feuer an.«
    »Und das zweite Bild?«, erkundigte sich Paul.
    »Ein Ketzer, der bei einer Predigt des Heiligen widersprochen hatte, versank in der Erde. Daraufhin rettete ihn Sebaldus und zog ihn wieder hinaus.« Fink machte eine weitschweifende Handbewegung. »Die anderen Bilder zeigen die Heilung des Blinden, das Brot-und-Wein-Wunder …«
    Paul lächelte schwach. »Ich verstehe, was du sagen willst, Hannes. Sebaldus ist seit vielen hundert Jahren tot und man denkt immer noch an ihn.«
    »Seit tausend Jahren«, korrigierte ihn Fink.
    »Ja, meinetwegen seit tausend Jahren. Aber die Erinnerung allein wird Antoinette nicht wieder lebendig machen.«
    Fink sah ihn freundlich an. »Das nicht. Aber es gibt eine Allerweltsweisheit, die einen wahren und hilfreichen Kern hat: Wirklich tot ist man erst dann, wenn niemand mehr an einen denkt.«
    Paul atmete tief durch. Er blickte noch einmal zu den Kinderbildern auf. Eines stellte ein besonders gut gelungenes Porträt des Stadtheiligen dar. St. Sebalds Augen wirkten auf diesem Gemälde wach und aufmerksam und seine Lippen so plastisch, als könnten sie sich jeden Augenblick bewegen. »Du hast wohl Recht. Jetzt kommt es nicht allein darauf an, den Mörder zu finden, sondern ich muss mich um Antoinettes Belange kümmern.« Dann schaute Paul seinen Freund an. »Kannst du mir dabei helfen?«
    Fink antwortete, ohne zu zögern: »Selbstverständlich. Du sagtest, sie stammt aus einem kleinen Ort in Südfrankreich?«
    »Ja, aus Grimaud«, bestätigte Paul.
    »Ich werde mich mit ihrer Heimatgemeinde in Verbindung setzen und alles für eine baldige Überführung vorbereiten. Vorher sollen alle, die sie bei uns kannten, Gelegenheit bekommen, sich von Antoinette zu verabschieden.«
    »Danke«, sagte Paul und drückte dem Pfarrer die Hand.
    »Das ist mein Job«, sagte Fink, »und meine Überzeugung.«
    Dann legte sich ein rührseliger Ausdruck über sein rundes Gesicht. »Wenn es dir recht ist, werde ich es auch übernehmen, das alles Hannah beizubringen. Ich denke mir, dass du vielleicht nicht unbedingt die richtigen Worte finden könntest, um …«
    »Schon gut«, nahm Paul ihm lange Erklärungen ab. »Ich wäre dir sehr dankbar dafür.«
    »In Ordnung«, sagte Fink entschlossen. »Und nun zum Thema Sühne und Vergebung: Gibt es einen Verdächtigen?«
    »Nun ja – Antoinette war spät abends alleine joggen. Da kann es praktisch jeder …«
    »Bitte! Paul, mach mir nichts vor«, unterbrach

Weitere Kostenlose Bücher