Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Reporter sang- und klanglos abtreten. All das waren nur Hirngespinste; die wahnsinnigen Temperaturen spielten Paul übel mit und trübten seine Sinne.
Paul sann über die nächste Möglichkeit nach, sich vor dem wenig einladenden Gang in seine überhitzte Wohnung zu drücken. Ein Eiskaffee beim Café Sebald vielleicht? Oder ein gut gekühltes Achtel Weißwein in Jan-Patricks Goldenem Ritter?
Für Momente dachte Paul sogar ernsthaft darüber nach, seine Expedition in die Felsengänge fortzusetzen, denn diese garantierten kühle Temperaturen und Ablenkung; außerdem trug er ja noch immer den Schlüssel für den Zugang unterhalb des Albrecht-Dürer-Denkmals bei sich.
Aber nein. All das waren Ausflüchte, mit denen er sich um das herummogeln wollte, was jetzt am dringendsten anstand: Er musste Blohfeld finden.
Paul erreichte sein Wohnhaus. Er wollte sein Fahrrad aus dem Hausflur holen und sich gleich wieder auf den Weg machen.
Erst als er die Haustür aufschloss, fiel ihm wieder ein, dass er gar kein Fahrrad mehr besaß. Unwillig wegen der ofenähnlichen Temperaturen, auf die er sich einstellen musste, stieg er in seinen Renault.
Er kurbelte beide Seitenscheiben nach unten und schob das Dachfenster auf. Bis zur Pirckheimer Straße hatte er es nicht weit. Zwar wusste er die Hausnummer des Reporters nicht, doch würde er dessen Haus auf jeden Fall von einem seiner früheren Besuche wieder erkennen. Es war das schönste in der Straße: restaurierter goldgelber Sandstein, unterbrochen von himmelblauen, säuberlich verputzten Wandflächen, verziert mit verspielten Erkern und Türmchen und gekrönt von einem spitz zulaufenden Dach aus kaminroten Ziegeln. Paul mochte diese im Krieg unzerstört gebliebene Gründerzeitperle und hatte Blohfeld schon öfters heimlich um seine großzügig geschnittene und komplett mit Parkett ausgelegte Wohnung im vierten Stock beneidet.
Paul entdeckte eine Parklücke und wollte den Blinker setzen, als ihm beim Blick in den Rückspiegel ein dunkler Geländewagen auffiel, der in einigem Abstand ebenfalls bremste.
Paul korrigierte den Winkel seines Rückspiegels und sah, dass der Wagen langsam an den Straßenrand gerollt war und stoppte. Paul stieß einen leisen Pfiff aus. Möglich, dass er zur Paranoia tendierte, aber er wollte einen Zufall ausschließen.
Paul gab Gas. Er beschleunigte seinen Renault so stark, dass er das dünne Blech seines Heckaufbaus klappern hörte. Ein weiterer Blick in den Rückspiegel untermauerte seine Befürchtung: Auch der Geländewagen hatte wieder Fahrt aufgenommen. Er beschleunigte ebenso wie Paul und verkürzte die Distanz zu ihm.
Also gut, sagte sich Paul. Vor ihm tauchte eine Straßenbahn auf, die an einer Station halten wollte. Auch Paul hätte jetzt langsamer fahren müssen. Doch stattdessen trat er erneut aufs Gaspedal und schoss zwischen Tram und wartenden Fahrgästen hindurch.
Der andere Wagen tat es ihm gleich. Paul sah durch den Rückspiegel, wie einige der Wartenden verärgert zurück auf den Bürgersteig sprangen.
Für Paul war nun klar, dass er verfolgt wurde. Er rief sich den Stadtplan der Nürnberger Kernstadt ins Gedächtnis, um sich einen Fluchtweg auszudenken. An der nächsten Kreuzung bog er zunächst scharf nach rechts in die Bayreuther Straße ab. Er drückte weiter aufs Tempo, aber er hatte seinen Verfolger noch immer nicht abgehängt.
Er erreichte den Rathenauplatz. Auch hier hatte Paul Glück mit den Ampeln und steuerte seinen Wagen in den Maxtorgraben. Mit achtzig Stundenkilometern raste er die Straße an der Maxtormauer entlang, in der bangen Hoffnung, dass kein vergeistigter Student der nahen Universität die Straße überquerte.
Er schoss an der imposanten Kulisse der Nürnberger Kaiserburg vorbei, während zwischen den Zinnen der Burgmauer die grellen Sonnenstrahlen funkelten. Paul konzentrierte sich darauf, sein Auto strikt auf der schmalen Trasse des Vestnertorgrabens zu halten, denn unter ihm – nur abgetrennt durch eine hüfthohe Sandsteinmauer – gähnte die Tiefe des Burggrabens.
An der nächsten Ampel schaute er erneut in den Rückspiegel in der Erwartung, seinen Verfolger jeden Augenblick auftauchen zu sehen. Doch da war niemand. Ein Dutzend Autos fuhr an ihm vorbei. Der Geländewagen indes war verschwunden.
Langsam bog Paul zum zweiten Mal in die Pirckheimerstraße ein. Von seinem Verfolger war noch immer weit und breit nichts zu sehen.
»Das gibt es doch nicht«, sagte er laut vor sich hin. Stieg ihm der ganze
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