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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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wahrscheinlich sah sie älter aus, als sie war. Ihr spitz zulaufendes, faltiges Gesicht war willkürlich mit Mascara, Lidschatten und billigem Lippenstift bemalt. Ihre fransigen Haare waren pechschwarz gefärbt. Die zierliche Figur steckte in einem ausgeleierten lilafarbenen T-Shirt und einer verwaschenen engen Hose, die an den Knöcheln endete. Dazu trug sie Gymnastikschuhe.
    Der Geruch nach Kohl und billigem Essigreiniger schlug ihm entgegen. Der Flur war schlicht und im Stil der ausklingenden Sechziger eingerichtet: kleingliederige Fliesen, eine schmale, abgenutzte Kommode mit weißem Häkeldeckchen, einfache Duplikate von Landschaftsbildern in Öl an den blassgelben Wänden.
    Frau Imhof stemmte die Fäuste in die Hüften und verzog die Lippen, als sich Paul vorstellte: »Mein Name ist Flemming. Ich bin Fotograf und soll für die Wiesingers einen neuen Imageprospekt erstellen. Während meiner Vorbereitungen wurde ich von einer Mitarbeiterin Ihres Mannes angesprochen, die mir geraten hat, mich mit ihm in Verbindung zu setzen.« Er trat einen Schritt näher auf die Frau zu. »Wissen Sie: Ich mache mir gern ein Bild von denjenigen, für die ich arbeiten soll. Vielleicht sind sie es ja gar nicht wert …«
    »Kommen Sie herein«, sagte Frau Imhof nach kurzem Zögern.
    In einem kleinen, unspektakulären Wohnzimmer goss Frau Imhof Paul einen wässrigen Kaffee ein.
    Paul machte es sich auf einem ausgesessenen Sofa bequem.
    »Wann wird sich denn Ihr Mann zu uns gesellen?«, fragte Paul, während er mit zwei Kissen in selbst gehäkelten Bezügen herumhantierte.
    »Gar nicht«, sagte Frau Imhof betonungslos und riss eine Schachtel Discountkekse auf.
    »Verzeihung?«, fragte Paul irritiert.
    Frau Imhof platzierte die Kekse auf dem niedrigen Sofatischchen unmittelbar vor Paul. »Greifen Sie zu!«, forderte sie ihn auf.
    »Danke.« Paul war überrumpelt von der neuen Situation. Er nahm sich einen Keks. »Wo hält sich Ihr Mann auf?«
    »Das weiß ich leider nicht«, sagte Frau Imhof. Ihr Lächeln war ebenso ehrlich wie traurig.
    »Wollen Sie damit sagen, Ihr Mann ist verschwunden? Vermisst?«
    »Vermisst würde ich es nicht nennen. Dann müsste ich ja eine Vermisstenanzeige aufgeben, was ich ganz bestimmt nicht vorhabe«, sagte Frau Imhof ruhig. »Wir sind seit über dreißig Jahren verheiratet. Ich kenne meinen Mann sehr gut und weiß, wie er seine Krisen bewältigt. Der Rauswurf bei Wiesinger hat ihn stark mitgenommen. Ich denke, er braucht jetzt Zeit für sich allein, um damit fertig zu werden.« Ein Anflug von Verletzlichkeit legte sich über ihr ausgemergeltes Gesicht.
    »Frau Imhof«, beschwor Paul seine Gastgeberin. »Glauben Sie, Ihrem Mann ist etwas zugestoßen?«
    »Nein«, sagte Frau Imhof beinahe überrascht. »Ganz sicher nicht. Wie schon gesagt: Er braucht eine Weile zum Nachdenken. Das ist alles.«
    Paul sah sich hektisch um. Er registrierte einen geschnitzten Elch, mundgeblasene Glasenten und anderen verstaubten Kitsch. Auf dem Fernseher standen vergilbte Familienfotografien. »Was verstehen Sie unter ›eine Weile‹?«, fragte er ungeduldig.
    Frau Imhof nahm sich einen Keks und biss hinein. »Die können nicht verderben«, sagte sie kauend. »Jedenfalls nicht so schnell wie Fleisch.«
    Paul verstand den Wink. »Wie meinen Sie das? In Deutschland kommt doch nur das beste Fleisch auf den Tisch.«
    Es war Frau Imhof anzusehen, dass sie Paul seine vorgetäuschte Naivität nicht abnahm. Sie seufzte. »Haben Sie BSE schon vergessen? Oder den Skandal um das Gammelfleisch?«
    »Ja, schön, Sie kennen sich bestimmt besser aus als ich«, sagte Flemming und sah sie herausfordernd an. Er wollte mehr hören. Also legte er den nächsten Köder aus: »Soviel ich weiß, besagt die goldene Bratwurstregel, dass ausnahmslos hochwertiges Fleisch verarbeitet werden darf, und das auch nur innerhalb der Nürnberger Stadtgrenzen.«
    Mit tieferer Stimme, als wollte sie jemanden imitieren, verkündete Frau Imhof: »Mein Mann hat immer wieder gesagt: Der Fleischmarkt ist ein Moloch mit acht Millionen Tonnen Jahresumsatz – und die Behörden schaffen es nicht, ihn ausreichend zu kontrollieren. Das ist die große Chance der Gauner und Betrüger.«
    Paul wartete ab, ob sie noch mehr zu diesem Thema zu sagen hatte und womöglich ein paar Details preisgeben würde. Aber Frau Imhof nahm sich den nächsten Keks und kaute schweigend.
    »Nun, äh …«, setzte Paul etwas ratlos an. »Gerade bei Nürnberger Rostbratwürstchen sind die Regeln

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