Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
vertraut.
Der Reporter hörte aufmerksam zu. Blohfelds Gesicht erschien Paul dabei noch schmaler zu werden, als es ohnehin schon war. Die dünnen grauen Haare hingen kraftlos über seine Schläfen, die Himmelfahrtsnase schimmerte rosig im weißen Gesicht. »Habe ich es doch gewusst«, sagte Blohfeld schließlich nach langem Zögern. »Dieses Mädchen hat mich nur benutzt, um an Informationen über den Wiesinger-Mord heranzukommen.«
»Wer hat denn hier wen benutzt?«, fragte Paul provozierend. »Haben Sie wirklich nicht geahnt, warum sich Antoinette so eifrig auf den Wiesinger-Fall gestürzt hatte?«
»Nein, aber ich hätte es ahnen müssen. Ihr Interesse an Wiesinger war viel zu intensiv und persönlich für das einer normalen Berufseinsteigerin – das hätte mich stutzig machen müssen.«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich habe genauso versagt: Als Antoinette mich neulich in die Felsengänge begleitet hatte, habe ich sie für ausgesprochen zickig gehalten und sie gemieden. Dabei hatte sie wahrscheinlich nach einer Gelegenheit gesucht, mich ins Vertrauen zu ziehen.« Paul sah Blohfeld nun wieder freundlicher an. »Immerhin sind Sie jetzt aus dem Schneider. Der Brief belegt Ihre Unschuld.«
»Nein, nein, so einfach ist das nicht.« Blohfeld gab Paul zwar in so weit Recht, dass Wiesingers Mörder aller Wahrscheinlichkeit nach auch Antoinette auf dem Gewissen hatte, dennoch waren die belastenden Indizien gegen ihn damit nicht aus der Welt geräumt. Keinesfalls wollte Blohfeld sein Exil verlassen, bevor die letzten Zweifel nicht zerstreut waren.
»Und nun?«, fragte Paul einigermaßen ratlos.
»Nun nehmen Sie den Brief und fahren zu Ihrer Freundin in den Justizpalast. Machen Sie ihr klar, dass Antoinettes Notizen meine Unschuld beweisen, aber verraten Sie ihr noch nicht, wo ich mich aufhalte.«
»Na gut«, sagte Paul, während er sich erhob. Er steckte den Brief ein und wandte sich zum Gehen.
»Eines noch«, gab ihm Blohfeld mit auf den Weg und wedelte dabei mit der Tageszeitung. »Ich habe gelesen, dass in der Wiesinger-Villa fremde Blutspuren gefunden worden sind.«
Paul nickte bestätigend.
»Bringen Sie die Blohm dazu, diese Spuren mit Antoinettes Blutgruppe zu vergleichen. Wenn ihr Brief der Realität entspricht, muss es ihr Blut gewesen sein und nicht das des Mörders oder der Mörderin.«
Darauf wäre Katinka nach der Lektüre des Briefes bestimmt selbst gekommen, dachte Paul, sagte aber nichts. Er salutierte und verließ sein Atelier.
36
Das Nürnberger Justizgebäude, das Paul mit der U-Bahn erreichte, flößte ihm beim Näherkommen wie stets Ehrfurcht ein, obwohl er nichts verbrochen hatte. Nach einem langen Weg durch die schier unendlichen Flure und Treppenhäuser stand Paul vor Katinkas schlichter Bürotür und klopfte an.
Katinka sah mitgenommen aus. Als Paul ihr die Hand schüttelte und ein Küsschen auf die Wange drückte, registrierte er die ungewöhnlich dicke Schminkschicht auf ihrer Haut. Was wollte Katinka unter dieser Maske verbergen? Müdigkeit und Abgespanntheit? Oder litt sie noch immer unter dem Verrat durch Basse?
Katinka bedeutete ihm, sich zu setzen. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir wirklich alt werden.«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Paul, erleichtert, dass es anscheinend nur das war, was Katinka Sorgen bereitete.
»Überlege mal: Wann hast du mich das letzte Mal mit den Worten begrüßt, dass ich gut aussehe?«
Paul erinnerte sich schmerzlich an den verpatzten Auftritt von neulich und hütete sich daher davor, auf ihre Frage einzugehen.
Katinka reagierte mit einem feindseligen Funkeln ihrer Augen. »Weißt du, ich war gestern Abend beim Juristenstammtisch, und niemand, aber auch wirklich niemand hat nur andeutungsweise etwas in der Richtung fallen lassen. Da habe ich so bei mir gedacht: Ich sehe wahrscheinlich ganz schön Scheiße aus.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das ist ja auch völlig unwichtig, also denke nicht, dass ich das so ernst nehme.« Leise fügte sie an: »Andererseits freut sich jede Frau ab und zu über was Nettes.«
Schuldbewusst senkte Paul den Blick.
»Ich verstehe schon«, sagte Katinka müde. »Gernot Basse bleibt offenbar – trotz seiner zweifelhaften Berufsethik – der einzige Mann weit und breit, der einem das Gefühl gibt, eine begehrenswerte Frau zu sein.«
Paul biss sich auf die Zunge. Er beschloss, nicht auf ihre Anspielungen einzugehen, und schob Antoinettes Brief über den Schreibtisch bis direkt unter
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