Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Stimmung hielt noch an, als das Mädchen sich wieder anzog. Ein junges Ding, vielleicht zwanzig, einundzwanzig Jahre alt. Wahrscheinlich eine Auszubildende oder Studentin, die die Fotos benötigte, um sich als Hobbymodel zu bewerben oder sie einfach nur ihrem Freund schenken wollte. Ganz sicher hatte sie nicht viel Geld, mutmaßte Paul.
Als sie ihm die Scheine reichte, überlegte er nicht lange: »Weil heute so schönes Wetter ist, bezahlen Sie nur die Hälfte des üblichen Preises«, sagte Paul und gab ihr einen Teil des Geldes zurück. »Wenn Ihnen die Bilder gefallen, gewinne ich Sie ja vielleicht als Stammkundin«, fügte er wegen ihres irritierten Blickes hinzu. Mit einem schüchternen Dankeschön nahm die Brünette die CD mit den Aufnahmen entgegen und entschwebte aus seiner Atelierwohnung.
Paul ging zu der Fensterfront, die hinaus auf den Weinmarkt zeigte und ließ sich die wärmende Spätsommersonne ins Gesicht scheinen.
Als er nach unten blickte, fiel sein Blick auf ein rotes Porsche Cabriolet. Das Faltdach war aufgeklappt, so dass Paul den Fahrer sehen konnte. Selbst aus der relativ großen Entfernung identifizierte Paul ihn als reichen Schnösel, dessen gelacktes Haar die Farbe seiner schwarzen Lederjacke imitierte.
In diesem Augenblick kam das Model aus dem Hauseingang und ging geradewegs auf den Porsche zu. Mit Befremden beobachtete Paul, wie sie sich auf der Beifahrertür abstützte und sich dann darüber in den Sitz schwang. Sie küsste den Fahrer ausgiebig, woraufhin dieser den Motor des Sportwagens mit einem lauten Röhren anwarf.
Paul war wieder einmal fassungslos über seine schlechte Menschenkenntnis, kam jedoch nicht dazu, sich über seinen Preisnachlass und damit über sich selbst zu ärgern, denn auf dem Gehsteig neben dem Porsche erschien bereits die nächste bekannte Figur auf der Bildfläche: Paul beobachtete, dass sich Victor Blohfeld – wie üblich im beigefarbenen Trenchcoat – mit Stielaugen nach der Brünetten umsah.
»War das etwa eine Ihrer Kundinnen?«, fragte Blohfeld anzüglich, als Paul ihm wenig später die Wohnungstür öffnete.
»Gut zahlende Kundschaft war es jedenfalls nicht«, sagte Paul selbstkritisch und ging dem Reporter voran zu seiner Sitzecke unterhalb des großen, ovalen Oberlichts.
»Ich stecke ein wenig in der Zwickmühle«, räumte Blohfeld in seltener Freimütigkeit ein, als er sich gesetzt hatte.
»Henlein?«, gab Paul das Stichwort.
Blohfeld nickte. Er war sehr blass, nur seine schmale Himmelfahrtsnase schimmerte in leichtem Rosa. »Es gibt gewisse Schwierigkeiten damit, eine Genanalyse des Hauser-Hemds zu bekommen.«
»Rechtliche oder finanzielle?«, wollte Paul wissen, der sich etwas Ähnliches ja bereits gedacht hatte.
»Beides«, sagte Blohfeld grüblerisch. »Wissen Sie, was die Labors für einen läppischen Gentest verlangen?«
»Na ja, ganz so läppisch wird er nicht sein. Immerhin müssen ja auch noch Gegenproben berücksichtigt werden, um einen Vergleich mit dem adligen Erbgut überhaupt möglich zu machen«, sagte Paul, dem durchaus klar war, dass Hausers Herkunftsbestimmung ganz sicher keine Peanuts waren.
»Das müssen Sie mir nicht erzählen«, sagte Blohfeld eingeschnappt. »Untersucht wird die DNA der Mitochondrien, das sind die Kraftwerke der Körperzellen, da die über die Eizelle der Mutter an das Kind weitervererbt werden und somit auch mehrere Generationen später weitestgehend unverändert bleiben.«
»Und da jede Zelle Mitochondrien enthält, lässt sich die mütterliche Erbschaftslinie relativ einfach nachvollziehen«, nahm Paul den Faden auf. »Aber eben nur, wenn Sie Genmaterial einer Nachfahrin der angeblichen Mutter von Kaspar Hauser als Gegenprobe zur Verfügung haben.«
»Haben wir«, sagte Blohfeld bestimmt. »Die liegt von dem früheren Vergleich mit den Blutspuren aus Hausers Unterhose vor: dem Spiegel-Test.«
»Na, dann. . .« Paul wartete darauf, dass Blohfeld den eigentlichen Grund seiner schlechten Laune nannte.
»Die Analyse der neuen Probe und der Vergleich mit den alten Untersuchungsergebnissen kosten zusammen zehntausend Euro – und das ist das Minimum!«
»Und? Ihr Boulevardblatt schwimmt doch spätestens seit den Verkaufserfolgen der letzten Tage in Geld«, ärgerte ihn Paul.
Blohfeld sah ihn scheel an. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie geizig mein Verleger sein kann? Der würde es sogar fertig bringen, mir das Geld vom Gehalt abzuziehen.«
Paul rieb sich nachdenklich das Kinn. Er dachte an
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