Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
So weit wäre selbst Zetschke kaum gegangen. Außerdem hätte er – wenn es denn Schwierigkeiten mit Henlein gegeben hätte – mühelos vorgeben können, dass er selbst an die Echtheit des Hemdes geglaubt und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatte, legte sich Paul zurecht.
Auf dem Hauptmarkt herrschte nun – ganz im Gegensatz zur letzten Nacht – geschäftiges Treiben. Türkische Obstverkäufer priesen ihre Waren lautstark im Wettbewerb mit Gemüsebauern aus dem Knoblauchsland an. Unter den rotweiß gestreiften Dächern der Stände wurde um die Preise von frischen Eiern, hausgemachter Butter, Fleisch und Blumen gefeilscht. An einem Fischstand aus dem Aischgrund blieb Paul stehen und kaufte eine mit Karpfencreme bestrichene Bauernbrotscheibe.
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Die junge Frau zog sich so schnell aus, dass er gar nicht dazu kam, sie hinter den Paravent zu bitten, wo für derartige Zwecke immer ein Kimono bereitlag.
Paul verschanzte sich hinter seiner Kamera und tat beschäftigt, während das Model seine Wäsche über eine Stuhllehne drapierte.
Es war ein sonniger Dienstag. Das schreckliche Wochenende lag zwei Tage zurück, und allmählich konnte Paul wenigstens zwischenzeitlich wieder an etwas anderes denken als an den blutüberströmten Körper des sterbenden Henlein und an Hauser, Hauser, Hauser.
Mit dem Fototermin und dem jungen Mädchen in seinem Atelier hatte ihn glücklicherweise der Alltag wieder eingeholt. Paul überprüfte seine Blitzanlage, dann positionierte er zwei zusätzliche Strahler: den einen etwa neunzig Grad schräg vor dem Model, den anderen auf die Rückwand gerichtet, damit sich die Konturen besser vom Hintergrund abhoben. Während er ihre Schokoladenseite direkt beleuchtete, wollte er die andere Gesichtshälfte der jungen Frau mit einem Faltreflektor aufhellen.
Inzwischen stand auch Henleins Beerdigungstermin fest: heute Nachmittag. Paul hatte ihn in den Amtlichen Bekanntmachungen gelesen und sich vorgenommen, zum Südfriedhof zu fahren, um Henlein die letzte Ehre zu erweisen. Das war er ihm nach alledem schuldig. Zudem interessierte es ihn zu sehen, in was für einer Verfassung die Witwe war. Möglicherweise brauchte sie Unterstützung. Paul fühlte sich durch das Unfallerlebnis nicht nur mit ihr verbunden, sondern ihr auch verpflichtet. Er dachte über die Herkunft dieser Gefühle nach, während er seine Kamera justierte, bis das mit gekreuzten Beinen im Licht der Scheinwerfer stehende Model hüstelte.
»Ach, Sie sind schon so weit?«, fragte Paul die gertenschlanke Brünette.
Sie nickte verhuscht, woraufhin Paul das Stativ mit seiner Kamera erst einmal beiseite schob und auf sie zuging. Er musste erreichen, dass sich das Mädchen wohl fühlte und lockerer wurde. Umso natürlicher würden später die Aufnahmen wirken.
»Sie wirken ein bisschen . . .«, er wollte das Wort »verkrampft« vermeiden und suchte nach Alternativen. »Am besten ist es, wenn Sie für einen Moment die Augen schließen«, schlug er vor. »Stellen Sie sich eine Sommerwiese vor. Folgen Sie in Gedanken den Schmetterlingen, genießen Sie den Duft der Blumen.«
Während er sprach betrachtete er mit nüchterner Professionalität den Körper der jungen Frau, um die Lichtquellen nachkorrigieren zu können. Der große Busen bedeutete einen stärkeren Schattenwurf, der Po war relativ flach, also musste er hier mit dem Seitenlicht tricksen . . .
Blohfeld war also wild entschlossen, die verkaufsträchtige Story über Henlein und die neue Hauser-Spur weiter auszuschlachten. Das hatte er Paul gegenüber vorhin am Telefon angedeutet. Die Zeitung fand zur Zeit offenbar reißenden Absatz, und Blohfeld hoffte wohl mal wieder auf eine Beförderung und Ruhm in seinen reifen Reporterjahren. Paul fragte sich allerdings, wie Blohfeld die Genanalyse finanzieren wollte, da Henlein als Geldgeber ja nun ausgeschieden war. Aus der Portokasse?
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten erwies sich das Model als recht talentiert. Nach den ersten Posen aus Pauls Standardprogramm machte sie sogar eigene Vorschläge, darunter erstaunlicherweise auch recht freizügige.
Paul konnte seine männliche Sexualität während solcher Shootings ausblenden, und das war auch notwendig, wenn er in einem Geschäft überleben wollte, in dem der untadelige Ruf alles zählte. – In diesem Zusammenhang musste er an Zetschke denken und dessen Weigerung, ihm Auskünfte über Henlein zu geben. Paul hätte an seiner Stelle wohl nicht anders gehandelt.
Seine milde
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