Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
ist ganz bestimmt nicht gesund. Pass auf, dass du nicht verlotterst.«
Paul hatte keine Chance, das Gespräch durch einen Sprung ins Wasser abzukürzen. Denn schon hatte seine Mutter ihn am Ärmel seines Bademantels zu fassen bekommen und zog ihn hinter sich her zum Haus. Auf dem Weg streifte er die Flossen ab.
»Eigentlich bin ich nur gekommen, um mich bei euch zu bedanken«, sagte Paul, als sie den engen Flur betraten. Hier roch es wie immer penetrant nach imprägniertem Holz.
Holztöne in allen Nuancen prägten auch das kleine Wohnzimmer, das von einer breiten schwarzen Ledergarnitur fast ausgefüllt wurde.
Pauls Vater saß – weißhaarig und teilnahmslos wie meistens – auf dem Sofa und las Zeitung. Er schaute nur kurz auf, als sie hereinkamen und sagte: »Du lässt dich kaum noch bei uns blicken.«
Das hat Mutti mir auch schon vorgehalten, dachte Paul, hielt aber den Mund. Um seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, schaute er über Hermann hinweg auf eine Schrankwand voller Reader’s-Digest-Bücher in Kunstledereinbänden.
Mit den Worten »Ich mache uns eine Tasse Kaffee« verschwand Hertha in der Küche.
Paul blieb bei seinem Vater im Wohnzimmer zurück. Sie wechselten dann doch ein paar Worte, bloße Belanglosigkeiten. Paul fiel nichts Besseres ein, als über das letzte Spiel des 1. FC Nürnberg zu reden. Dann erlöste ihn Hertha durch den Ruf zum Kaffee.
Sie hatte Rhabarberkuchen mit einer großen Schale Schlagsahne auf dem Terrassentisch bereitgestellt. Paul zog es vor, sich in die Hollywoodschaukel zu setzen, ein Relikt aus den siebziger Jahren, das die Zeit recht gut überstanden hatte.
»Also jetzt erzähl mal, Sohnemann«, forderte ihn Hertha auf, während Hermann sich bereits den Kuchen schmecken ließ. »Wie war das mit diesem Unfall im Lochgefängnis?« Das Wort Unfall betonte sie dabei deutlich.
Paul erklärte ihr offen, dass er sich keineswegs sicher war, es bloß mit einer Unfalltoten zu tun zu haben. Er berichtete den Eltern von seinen Gedächtnislücken und den Versuchen, Aufschluss über den Verlauf jener Nacht zu gewinnen.
»Das Lochgefängnis unter dem alten Rathaus?«, meldete sich Hermann unerwartet zu Wort, und es klang für Paul so, als hätte er von der Geschichte gerade zum ersten Mal gehört.
»Ja, aber sicher das Lochgefängnis«, belehrte ihn Hertha. »Wenn du einmal richtig zuhören würdest, müsste ich dir nicht alles dreimal erklären.«
»Aber im Rathaus läuft doch diese Ausstellung«, ließ sich Hermann nicht beirren. »Die Reichskleinodien in Nürnberg. Mich wundert, dass sie dich da noch hineingelassen haben, wenn es um eine so wichtige Angelegenheit geht, Paul.«
»Danke«, sagte Paul eingeschnappt und zog seinen Bademantel über der Brust enger zusammen.
»Hermann hat es nicht so gemeint«, beschwichtigte Hertha. »Was er sagen wollte, war nur . . .«
»Ich habe schon verstanden.« Paul sah seine Mutter herausfordernd an. »Ich weiß, dass ihr nicht viel von meinem Job haltet.«
Hermann piekste das nächste Stück Kuchen auf die Gabel. Aber Hertha erwiderte Pauls Blick: »Wir wären glücklicher gewesen, wenn du unser Geschäft übernommen hättest. Du weißt, dass Hermanns Herz daran gehangen hat.«
Meines aber nicht, dachte Paul, der nicht im Leben daran gedacht hatte, ein antiquiertes Musikgeschäft in Nürnberg zu übernehmen, das in Zeiten von Saturn und Media Markt ohnehin kaum Überlebenschancen gehabt hätte. »Ich glaube, ich habe für mich und mein Leben die richtigen Entscheidungen getroffen, Mutti. Und ihr seid doch hier in Herzogenaurach auch recht glücklich, oder? Mit eurem Wochenendhäuschen als Alterssitz?«
Hertha lächelte versöhnlich, während Hermann weiter aß. Dann sagte sie: »Aber seltsam ist es schon.«
»Was?«, fragte Paul.
»Die Nähe zu dieser Ausstellung. Kronen, Zepter, kaiserlicher Schmuck«, sagte Hertha. Ihre kleinen, von dicker Schminke umrahmten Augen sahen Paul eindringlich an. »So viel Gold und Edelsteine – und dann passiert ein Mord gleich in der Nähe. Das kann doch kein Zufall sein!«
»Jetzt sprichst du also doch von Mord«, hielt Paul seiner Mutter vor.
»Was ist, wenn diese Mädchen, die du fotografiert hast, etwas von der Ausstellung mitgehen lassen wollten?«, ging Hertha über seinen Vorwurf hinweg und fügte tadelnd hinzu: »Du bist in Bezug auf Frauen immer viel zu gutgläubig.«
»Ich suche mir meine Fotomodelle meistens sehr genau aus«, wies Paul den Vorwurf zurück. »Abgesehen davon
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