Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
wurden die Ausstellungstücke erst später angeliefert. Als ich mit den Models im Lochgefängnis unterwegs war, gab es noch nichts zu stehlen. Und selbst wenn: Wer sollte einen Grund gehabt haben, dieses arme Mädchen umzubringen? Die Security-Leute wohl kaum. Die hätten höchstens die Polizei angerufen, wenn ihnen an uns etwas spanisch vorgekommen wäre.«
Hertha wusste darauf offenbar nichts zu erwidern und lud Paul Stattdessen eine weitere Portion Rhabarberkuchen auf.
Der Rest des gemeinsamen Kaffeetrinkens verlief beinahe wortlos.
Schließlich verabschiedete sich Paul von seinem Vater mit dem vagen Versprechen, demnächst noch einmal vorbeizukommen, um den Pool instand zu setzen. Hertha begleitete ihn in den Flur.
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und schob ihm einen Zwanzig-Euro-Schein zu. »Für dich, Bub. Ich weiß doch, dass du knapp bei Kasse bist«, flüsterte sie und fügte mahnend hinzu: »Aber sag Hermann nichts davon.«
Als Paul im Auto saß, konnte er nicht gleich losfahren. Nicht zum ersten Mal nach einem der seltenen Besuche bei seinen Eltern dachte er darüber nach, ob Hertha und Hermann mit Paul – dem Einzelkind – alles in allem eigentlich zufrieden waren. Das gleichgültige Verhalten seines Vaters ihm gegenüber ließ ihn manchmal daran zweifeln. Es konnte jedoch ebenso gut sein, dass Hermann ihn durchaus mochte und schätzte, aber ein Wort der Zuneigung aufgrund seiner phlegmatischen Art nicht über die Lippen brachte.
Und seine Mutter? Ohne Frage verfolgte sie sein Leben sehr genau – mit Argusaugen, dachte Paul. Sie war eine stolze Frau und wollte auch gern stolz auf ihren Sohn sein. Aber dazu hatte sie – zumindest aus ihrer Sicht – kaum Gelegenheit. Und Paul hatte durchaus nicht vor, seinen Lebenswandel umzustellen, nur um es Hertha recht zu machen. Außerdem konnte er ihre bevormundende Art schon seit seinen frühen Teenagerzeiten nicht leiden, und das wusste sie nach all den Jahren sehr genau.
Nun aber hatten die beiden für ihn gebürgt und dafür sicher viel Geld auf den Tisch gelegt. Für den knauserigen Hermann musste das eine echte Überwindung gewesen sein. Und die Erwartungen, die seine Eltern nun an ihn richteten, waren ja offensichtlich ziemlich hoch. Musste Paul jetzt bis ans Ende seiner – oder ihrer – Tage die Schuld abtragen und den braven Buben spielen?
Er presste seine Hände ans Lenkrad und verharrte eine Weile in dieser Position.
Dann beschloss er, diese Gedankenspiele zu beenden. Was brachte es schon, sich über altbekannte und unveränderliche Familienangelegenheiten immer wieder den Kopf zu zerbrechen? Nichts. Gar nichts.
Er drehte den Zündschlüssel, und als er den Renault durch die verkehrsberuhigte Wohnstraße am Rande des Dohnwaldes steuerte, dachte er mit einem Mal doch ein wenig freundlicher über seine Eltern. Ohne Frage: Sie hatten ihm geholfen. Und war nicht auch Herthas ungelenker Hinweis auf die zeitliche und räumliche Nähe zwischen Todesfall und Ausstellungseröffnung nichts als ein gut gemeinter Rat gewesen, alle Kraft in die Suche nach dem wahren Täter zu stecken?
Aber was – was, wenn er am Ende doch sich selbst als Täter entlarvte?
8
Das Kreischen der Motoren war ohne Gehörschutz kaum auszuhalten. Die Luft war geschwängert von verbranntem Benzin, abgeriebenem Gummi und dem beißenden Geruch überhitzter Bremsscheiben. Paul lehnte sich gegen einen Stapel Reifen an der Bande vor der Boxengassen-Tribüne und staunte.
Der Geräuschpegel, die schlechte Luft, das hektische Agieren der Beteiligten rings um ihn – all das machte ihm nichts aus. Er war fasziniert von dem Spektakel auf dem Norisring, vor dem er sich aus Desinteresse bisher immer erfolgreich gedrückt hatte. Nun aber musste Paul feststellen, dass das Autorennen live und aus nächster Nähe verfolgt überhaupt nichts mit den langweiligen Übertragungen im Fernsehen zu tun hatte. Der mitreißenden Dynamik der mit Donnergetöse an ihm vorbeipreschenden Wagen konnte er sich kaum entziehen. Und das, obwohl er lediglich die aufwendigen Vorbereitungen und Probeläufe zur eigentlichen Rennsportveranstaltung miterlebte.
Paul hatte einen günstigen Platz gefunden: Er konnte das Feld der DTM-Wagen während des Trainings gut überblicken. Die PS-Protze von Mercedes, Audi und anderen bekannten Herstellern lagen wie Flundern auf der Fahrbahn. Ihre bunt lackierten Kunststoffkarosserien waren so tief gelegt, dass kaum eine Handbreit zwischen Unterboden und Asphalt blieb.
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