Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
Ton, als er fortfuhr »Aber, meine Damen und Herren, unsere wichtigste Ernährungsquelle, die wir Nürnberger auch als Naherholungsgebiet lieben, ist in ihrem Bestand hochgradig gefährdet!«
Jetzt wurde es endlich interessant, fand Paul und verfolgte den Rest der Rede mit größerer Aufmerksamkeit:
»Ja, ich sage: gefährdet! Zum einen durch Fehler der Vergangenheit, denn seit den 1970er Jahren schreitet auf Kosten der landwirtschaftlichen Flächen die Zersiedlung voran, gleiches gilt für die Ausweisung von Gewerbeflächen. Die momentan größte Gefahr aber sehe ich in einer neuen Form des industriellen Gemüseanbaus, der mit den traditionellen Werten des Knoblauchslands rein gar nichts mehr gemein hat: Ich spreche von flächenfressenden XXL-Gewächshäusem, in denen Gemüsemassenwaren auf naturferner Hydrokulturbasis erzeugt werden. Der Gigantismus kennt keine Grenzen, wenn einige wenige profitorientierte Großbauern die über Jahrhunderte gewachsene, kleingliedrige bäuerliche Kulturlandschaft durch ihre Glaspaläste unwiederbringlich zerstören.«
Oha, dachte Paul. Der traute sich was! Er war gespannt auf den Rest der Rede:
»In ihren energiefressenden Gemüsezuchtanstalten produzieren diese Agrardespoten ganzjährig und wetterunabhängig Einheitsware für den Discountmarkt. Quantität geht vor Qualität, das schnelle Geld obsiegt über Nachhaltigkeit. Zu leiden haben darunter qualitätsbewusste Verbraucher, aber auch die verbleibenden konventionellen Ackerbauern, die mit den hochtechnisierten Erzeugermethoden nicht mithalten können und gezwungen sind...«
Weiter kam Rode nicht, denn eine Tomate klatschte an seine Brust und hinterließ einen großen Fleck.
Ein Raunen ging durch die Menge. Im nächsten Moment sprang ein Mann mit der Statur eines Kleiderschranks vor und stellte sich breitbeinig vor den Staatssekretär. Ein weiterer Mann, der der Zwillingsbruder des ersten Bodyguards hätte sein können, bahnte sich eine Schneise durch die Reporter und stieß zielsicher auf den Tomatenschützen zu, einen leicht untersetzten Mittfünfziger in moosgrünem Trachtenjanker. Er führte den Provokateur jedoch nicht ab, sondern verhinderte durch seine Aufstellung nur, dass er weiter mit Gemüse warf.
Pauls Blicke wanderten zwischen dem Staatssekretär, der mit einem Stofftaschentuch an seinem Hemd herumtupfte, und dem Tomatenattentäter hin und her. Während er auf eine Reaktion Rodes wartete, fiel ihm auf, dass der Jankerträger ganz und gar nicht wie ein Aufrührer aussah, sondern zu 100 Prozent Pauls Vorstellung vom prototypischen CSU-Wähler entsprach.
Damit lag Paul nicht falsch, wie sich bald herausstellte, nachdem Rode seinen sinnlosen Reinigungsversuch aufgegeben hatte und nun selbst auf den Gemüsewerfer zuging. Mit jedem Schritt verlor Rodes Gesichtsausdruck an Schärfe und wandelte sich zu reiner Milde. Umschwärmt von Fotoapparaten und Fernsehkameras streckte der Politiker seine rechte Hand aus, als er seinem Angreifer gegenüberstand, und sagte: »Verehrter, lieber Herr Deuerlein. Wenn Sie möchten, dass ich Ihre neue Ernte probiere, servieren Sie sie mir bitte auf einem Teller, anstatt sie mir entgegenzuschleudem.«
Rode hatte die Lacher auf seiner Seite, woraufhin sich die angespannte Atmosphäre spürbar lockerte. Doch der Angesprochene nahm den versöhnlichen Handschlag nicht an, sondern stemmte provokativ die Fäuste in die Hüften: »Ich bin Parteimitglied seit 32 Jahren«, sagte Deuerlein und klang aufgebracht. »Ich habe Franz-Josef verehrt und die Politik im Freistaat immer unterstützt.« Seine Wangen leuchteten rosa, als er schnaubend fortfuhr »Aber was Sie für einen Bockmist verzapfen, das geht auf keine Kuhhaut! Sie ziehen das Ansehen der CSU in den Schmutz, Herr Rode, indem Sie denen nach dem Mund reden, die unsere Ideale mit Füßen treten. Sie betreiben einen unverantwortlichen Ausverkauf unserer uralten Prinzipien und Werte!«
Rode lächelte jovial. »Machen Sie es mir zum Vorwurf, dass ich unser schönes Frankenland schützen und erhalten möchte? Dass ich dafür eintrete, unseren Kindern eine vitaminreiche und ausgewogene Ernährung zu garantieren? Sind das etwa keine Werte, für die unsere Christlich-Soziale Union einstehen sollte?«
Deuerlein sah den Politiker, der ihn um Haupteslänge überragte, fassungslos an. »Natürlich nicht! Ich werfe Ihnen vor, dass Sie Front gegen treue alte Parteifreunde wie mich machen, nur um sich einzuschmeicheln bei diesem ... bei diesem
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