Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
Geheimnisse - im Gegensatz zu manch einem anderen ...«
»Auf wen spielen Sie an?«, fragte Paul. »Auf Martin Rode?«
Deuerlein zuckte mit den Schultern. »Anders als er halte ich nichts von übler Nachrede. Aber wenn ich dazu gezwungen bin, kann ich einige sehr unschöne Geschichten über diesen Herrn erzählen.«
Paul hätte nur allzu gern mehr gehört, doch Deuerlein war klug genug, sein Wissen für sich zu behalten. Wenn, dann würde er es nur dosiert und für einen wichtigen Zweck preisgeben. Die Bauernschläue stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Also - sind Sie dabei? Darf ich Sie für eine Fotoserie bei mir einladen?«
Paul rechnete sich ein gutes Geschäft aus, willigte ein und verabschiedete sich, um nun endlich seine aktuelle Aufgabe anzugehen. Die Journalisten hatten sich inzwischen in alle Richtungen verstreut, auch der Staatssekretär samt Begleitern brauste im dunkelblauen Audi davon. Doch mit seinem Modell brauchte Paul heute nicht mehr zu rechnen. Sie schwebte auf Wolke sieben, weil sie von Rode zum Shootingstar des Presseevents erkoren worden war, und konnte sich nicht mehr zu Pauls profaner Kalenderkunst herablassen.
»Nein«, sagte die zierliche Grazie und rümpfte das Näschen. »In ein Salatfeld stelle ich mich heute ganz bestimmt nicht mehr.«
Halbherzig versuchte Paul sie zu überzeugen. Doch die Kleine war viel zu sehr vom Presserummel und den unerwarteten politischen Ehren aufgeputscht, als dass noch an eine vernünftige und konzentrierte Fotoarbeit zu denken war. Weil er wohl recht niedergeschlagen dreinschaute, tätschelte das Mädchen seinen Arm und drückte ihm als Wiedergutmachung einen Zettel in die Hand.
»Das ist eine Einladung«, erklärte sie. »Damit kommst du umsonst auf unsere Party.«
»Party?«, fragte Paul ebenso lust- wie verständnislos.
»Die Knoblauchsländer Jugend feiert. Da geht was ab! Mit der Einladung hast du einen Drink frei.«
Als sie mit wiegenden Hüften entschwand, blieb Paul etwas verdattert zurück und sah ihr nach. Ein laues Lüftchen formierte auf dem trockenen Feldweg kleine Staubwirbel und spielte um die Salatköpfe. Der Wind verschaffte auch ein paar Blättern Papier Auftrieb und ließ sie durch die Gegend flattern. Paul reagierte geistesgegenwärtig genug, um sich eines davon zu schnappen. Wie er feststellte, handelte es sich um eine Seite aus dem Redemanuskript des Staatssekretärs, das sich in der allgemeinen Verwirrung nach dem Tomatenzwischenfall wohl selbstständig gemacht hatte.
Paul überflog den Text, der mit handschriftlichen Vermerken - wohl von Rode - ergänzt und an einigen Stellen zusammengestrichen worden war. Hier war der Teil der Politikerrede, dem er vorhin nur unkonzentriert gelauscht hatte. Bei näherer Betrachtung eigentlich doch nicht so uninteressant. Paul las, dass das Knoblauchsland eine längere Geschichte vorweisen konnte, als er vermutet hätte: Die systematische Erschließung durch großflächige Rodungen hatte bereits im achten Jahrhundert auf Betreiben der umliegenden Siedlungen Nürnberg, Fürth und Aurach begonnen. Immer neue Ackerflächen kamen in den folgenden Jahrhunderten hinzu, parallel dazu wuchsen die vielen kleinen Dörfer und Stadtteile heran, die noch heute charakteristisch für das Knoblauchsland waren. Das Agrarland diente mehreren Herren und ernährte die Bevölkerung weiter Landstriche, was zwangsläufig zu Konflikten führte: 1449 brach der erste Markgrafenkrieg aus. Ortschaften wie Almoshof, Höfles, Lohe und Wetzendorf wurden weitgehend zerstört. Tod und Zerstörung brachte auch der zweite Markgrafenkrieg zwischen 1552 und 1553. Ab 1796 hatten die Preußen das Sagen im Knoblauchsland, bevor die Verwaltung 1806 an das Königreich Bayern fiel. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Knoblauchsland ab 1941 von mehreren großen Bombenwellen in Mitleidenschaft gezogen, doch schon in der nächsten Saison musste es wieder die ausgehungerte städtische Bevölkerung ernähren. Dramatische Veränderungen brachte 1972 die Gebietsreform mit sich, durch die die bis dato eigenständigen Dörfer und Gemeinden den umliegenden Städten Nürnberg, Erlangen und Fürth zugeschlagen wurden.
Paul hätte die Historie gern bis in die Ist-Zeit weitergelesen, doch der Text auf dem beidseitig bedruckten Papierbogen endete genau im Jahr 1972. Schade. Fast hätte er das Interesse an seinem Fund verloren, als er auf eine Zahlenreihe aufmerksam wurde, die ganz an den unteren Rand des Blatts gekritzelt worden war. Der Handschrift
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