Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
Sie starrten alle in dieselbe Richtung, als es vom IHK-Gebäude herkommend auf sie zuraste: ein Motorrad mit aufgeblendetem Licht.
»Was zum Teufel...?«, rief Paul, als er instinktiv seine Kamera samt Stativ zur Seite nahm, um dem heranrasenden Bike auszuweichen. Das Motorrad schoss auf sie zu wie eine Rakete. Paul registrierte den Fahrer: schwarze Lederkombi, schwarzer Helm, getöntes Visier. Dann die linke Hand des Fahrers, ausgestreckt, im schwarzen Handschuh einen Gegenstand haltend. Paul erkannte eine Flamme, blinzelte, sah jetzt mehr: eine Flasche, aus der ein brennender Lappen herausragte.
Er schaltete sofort: »In Deckung!«, rief er laut, bevor er das Stativ losließ und sich flach auf den Boden warf. Fotoapparat und Objektiv zerbarsten neben ihm auf dem Kopfsteinpflaster.
Gleich darauf tat es einen Schlag. Die Thekenscheibe zersplitterte beim Aufprall der Flasche, es regnete Scherben. Wieder heulte der Motor auf. Reifen quietschten, als der Fahrer sein Bike in eine enge Kurve zwang. Er gab Gas, um auf demselben Weg zu flüchten, auf dem er gekommen war.
Lautstark fluchend rappelte sich Deuerlein auf, der ebenfalls Schutz gesucht und auf allen Vieren neben seinem Stand gekauert hatte. Die Verkäuferinnen schrien, Passanten strömten herbei, während andere das Weite suchten. Ehe Paul die Situation auch nur ansatzweise deuten konnte, schlugen die ersten Flammen aus dem Verkaufsstand.
Paul fühlte sich außerstande, etwas dagegen zu unternehmen. Er sah sich nach einem wie auch immer gearteten Hilfsmittel um, konnte aber nichts entdecken. Mit einem ohnmächtigen Gefühl musste er mit ansehen, wie das Unheil seinen Lauf nahm. Es knisterte, prasselte, Funken stoben auf, flogen fünf, zehn Meter hoch, gefolgt von dichtem, rußigem Qualm. Es stank entsetzlich nach verschmortem Plastik.
Was konnte er bloß tun, fragte er sich. Der kleine Handfeuerlöscher aus seinem Auto fiel ihm ein. Hatte denn nicht auch der eine oder andere Markthändler einen Feuerlöscher parat?
Er kam nicht dazu, danach zu fragen, denn jemand aus der Menge rief »Achtung, das Propangas!«, woraufhin die Ereignisse eine neue, unberechenbare Dynamik entwickelten. Paul wurde von einer beleibten Frau niedergewalzt. Gerade so gelang es ihm, sich wieder aufzurichten, bevor die nächsten Flüchtenden gegen ihn rempelten.
»Ich habe kein Gas im Wagen!«, rief Deuerlein gegen die aufkommende Panik an. Doch das hatte keinen Zweck, denn längst war die Lage außer Kontrolle geraten. Während Deuerleins Wagen lichterloh brannte, wurden auch die angrenzenden Stände in Mitleidenschaft gezogen. Die Leute rannten alles nieder, was ihnen im Weg stand, rutschten auf zertrampelten Birnen und Trauben aus, verbreiteten Öl und Essig aus umgekippten Zapfanlagen auf dem Boden und verwandelten die Ausstellung eines Postkartenzeichners in ein Schlachtfeld aus zerrissenem Kartonpapier und zerlaufener Tusche. Erst als das »Tatütata« der herannahenden Berufsfeuerwehr in der Feme zu hören war, ebbte der Aufruhr allmählich ab.
Zwei Löschzüge rückten an, im Nu wimmelte es von Feuerwehrmännern mit heruntergeklappten Helmvisieren, in steifen blauen Schutzanzügen, die sie watscheln ließen wie Enten. Das bremste sie aber kaum in ihrem Tempo, bemerkte Paul, der das Szenario vom Eingangsbereich der Buchhandlung aus verfolgte, wo auch Deuerleins verängstigte Standfrauen Zuflucht gesucht hatten.
»Oh Gott, oh mein Gott!«, wimmerte eine von ihnen. »Furchtbar«, stammelte die andere mit aschfahlem Gesicht. »Stell dir vor, wir wären da noch drin gewesen ...«
Lautstarke Befehle wurden gerufen, schwere Stiefel stampften über den Boden. Innerhalb kürzester Zeit war das Kopfsteinpflaster von grauen Schläuchen überzogen. Schon schoss fauchend die erste Wasserfontäne aus einer Hochdruckspritze, gehalten von zwei Feuerwehrmännern, die sich breitbeinig gegen den Rückstoß stemmten. Auch von der anderen Seite regnete es jetzt Löschwasser, während ein dritter Trupp von hinten anrückte.
Die eben noch meterhohen Flammen hatten keine Chance gegen die geballten Wassermassen, die auf das Feuer einprasselten und sich über den Verkaufsstand ergossen. Es zischte, als würde eine Bratpfanne mit heißem Fett unter den Wasserhahn gehalten, nur viel, viel lauter.
So plötzlich wie der Spuk begonnen hatte, war er nach nicht einmal einer Viertelstunde vorbei. Die Feuerwehr hatte den Brand im Griff, einige Männer hackten mit Äxten auf das Wrack ein, löschten
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