Paul sucht eine Frau
Stuhl heran und setzt sich neben ihn.
»Bist du sauer auf mich?«
Paul antwortet nichts. Hat er vielleicht sogar ein Recht, auf sie wütend zu sein?
»Es tut mir leid«, sagt sie.
»Schon okay.«
Ist das ein typisches Männer-» schon okay« , das eigentlich bedeuten soll, dass gar nichts okay ist?
»Lass uns mal gemeinsam etwas unternehmen, was dir gefällt. Ich will sehen, wie dein Leben aussieht. Ich werde auch keine Regieanweisungen geben. Versprochen.«
Paul sieht sie an. Seine ernste Miene wandelt sich zu einem zaghaften Lächeln.
* * *
Detektivarbeit ist nicht schwer.
Die Unverschämten und die Unerschrockenen kommen mit allem durch. Ruft man beispielsweise im Büro der Bundeskanzlerin an und behauptet mit genug Überzeugungskraft, man sei der Sekretär des britischen Premierministers, wird man ohne Nachfragen weiterverbunden. Nicht, dass Harry das schon ausprobiert hätte. Aber bei der Observation von Laras Freund war es nicht viel anders. Am Anfang hatte er nichts. Keine Informationen. Lediglich die Vornamen von Lara und ihrem Freund.
Also hat Harry beim ambulanten Dienst Hilfe zum Leben angerufen. Er hat sich als Kumpel von Paul ausgegeben – was nicht komplett gelogen ist – und sich nach dessen neuer Assistentin erkundigt. »Sie hat ihren iPod bei mir liegen lassen, als Paul mich neulich besucht hat. Wie hieß sie gleich?«
»Das Fräulein Berthold meinen Sie?«
»Berthold, genau. Und können Sie mir die Adresse geben?«
Das konnte die Dame am Telefon natürlich nicht. Überhaupt fing sie sich langsam an zu wundern, warum Harry denn nicht einfach bei Paul anrief, wenn dessen Assistentin etwas bei ihm vergessen hatte. Doch die erhaltene Info genügte Harry.
Im Telefonbuch fand er tatsächlich eine Lara Berthold. Er hätte auch andere Möglichkeiten gehabt, an ihre Adresse zu gelangen. Allerdings wäre er dann wieder jemand einen Gefallen schuldig gewesen, deshalb war es schon okay, wie es gelaufen ist.
Harry hat extra seinen alten Kombi aus der Garage geholt, den er nicht mehr benutzt hat, seit er den neuen Van und den Sportwagen hat. Mit einer Schiebermütze auf dem Kopf postiert er sich auf dem Parkstreifen in der Mitte der Straße gegenüber der Adresse in der Bahnhofsstraße. Lara arbeitet immer vormittags und abends bei Paul, das weiß er. Also ist er um neun Uhr morgens aufgebrochen. Um ziemlich genau acht Minuten nach zehn kommt Lara die Straße entlang gelaufen und geht ins Haus.
Maria hat ihm ein paar Butterbrote geschmiert, also lässt Harry es sich gut gehen. Er hört Hardrock-Kassetten aus seiner wilden Phase im Autoradio und erinnert sich an alte Zeiten.
Detektivarbeit ist langweilig. Nicht so, wie sie im Fernsehen immer gezeigt wird. Meist sitzt man stundenlang herum. Das ist eine Sache, die Harry nicht so viel ausmacht, wie manch anderem. Und gegen die Langeweile hat er sich auf seinen iPod ein paar Hörbücher geladen – wenn er nachher irgendwann genug von Judas Priest und Led Zeppelin hat.
Im Laufe des Tages gehen einige Menschen in dem Haus ein und aus. Aber niemand, der zu Lara passen könnte. Bis um halb sechs ein junger Kerl das Haus betritt. Könnte in etwa Laras Alter haben. Er trägt einen Business-Anzug. Er passt so überhaupt nicht zu der schrillen Lara. Also könnte er es wirklich sein.
Kurz nach sechs kommt Lara mit dem Kerl vor die Tür. Er nimmt ihre Hand. Volltreffer.
In den nächsten Tagen kommt Harry zweimal an der Wohnung vorbei und beobachtet das alltägliche Verhalten von Laras Freund. Morgens geht er in einem modernen Bürogebäude an der Kurfürsten-Anlage arbeiten. Jeden zweiten Abend steigt Martin in einen 3er-Golf und fährt nach Kirchheim ins Fitnessstudio. Am vierten Tag fährt er nach dem Training nicht direkt nach Hause. Anstatt in Richtung Altstadt abzubiegen, fährt er weiter geradeaus. Aber wohin? Harry folgt ihm.
Die Fahrt geht am Bahnhof vorbei. Bis nach Neuenheim. Dann auf Höhe des Neuenheimer Felds biegt der Wagen ab. Der Freund steuert mitten in die graue 80er-Jahre-Bauten-Wüste der Uni Heidelberg. Auf einem der Parkplätze hält er an, direkt neben ein paar Studentenwohnheimen. Harry parkt ein paar Autos weiter.
Während der Freund aussteigt und zur Eingangstür des erstbesten Wohnheims geht, klingelt und wartet, steigt auch Harry mit gekonnten Griffen aus seinem Wagen in den Rollstuhl, den er zusammengefaltet hinter dem Fahrersitz deponiert hat.
Der Freund muss lange vor der Tür warten – Harrys Glück! –
Weitere Kostenlose Bücher