Paul sucht eine Frau
dann ertönt das Summen des elektrischen Türöffners und der junge Mann schiebt die Tür auf. Harry schafft es gerade noch, die Tür mit dem ausgestreckten Arm zu erwischen, bevor sie ins Schloss fällt.
Drei Sekunden später findet Harry sich in einem großen Flur wieder. Er sieht sich um. Am Ende des Flurs im Erdgeschoss entdeckt er Martin, der in diesem Moment die ersten Stufen einer breiten und steilen Treppe betritt. Harry spurtet ihm hinterher. Soll er den Aufzug nehmen? Aber in welches Stockwerk will der Kerl? Hier gibt es doch mindestens sechs Etagen! Das macht eine Wahrscheinlichkeit von gerade einmal 16,7 Prozent, dass Harry genau dort aus dem Lift steigt, wo sich Laras Freund befindet.
»Scheiße«, murmelt er und beschleunigt.
Martin ist beinahe am oberen Ende der Treppe angekommen, außerhalb seines Sichtfelds, als Harry eine Idee hat.
»Hallo«, ruft er.
Der Freund bleibt stehen und dreht sich um.
»Ja, Sie! Können Sie mir die Treppe hochhelfen?«
Der junge Mann sieht einen Moment irritiert auf ihn herab. Dann sagt er: »Aber klar doch.«
Martin kommt die Treppenstufen herunter und, ohne lange zu überlegen, packt er die Griffe an Harrys Rollstuhl. Er dreht ihn mit dem Rücken zur Treppe, kippt ihn und zieht ihn Stufe um Stufe empor.
»Man hilft, wo man kann.«
Im ersten Stock angekommen, atmet er tief durch und setzt den Rollstuhl ab.
»Sind Sie hier richtig? Oder müssen Sie noch weiter rauf?«
»Ich glaub, hier war's.«
»Alles klar.«
Der Freund dreht sich um und setzt an, auf der Treppe weiter zum nächsten Stockwerk zu gehen.
»Ach ne, doch nicht«, sagt Harry. »Sorry. Ist noch höher. Sieht ja überall gleich aus.«
Der Junge zuckt mit den Achseln. »Na gut.«
Als die beiden in der zweiten Etage ankommen, erklärt der Freund, dass er jetzt an seinem Ziel angekommen sei.
»Super«, sagt Harry. »Ich auch.«
»Sicher?«
»Ja. Hier war's.«
Harry bewegt sich den Flur entlang, allerdings sehr langsam, um zu sehen, was der andere als Nächstes macht. Hinter einem Vorsprung, an dem ein Schwarzes Brett angebracht ist, bleibt Harry stehen. Vorsichtig beugt er sich vor.
Martin steht vor einer Wohnungstür, die sich jetzt öffnet. Eine junge Frau mit dunklem Teint und langen schwarzen Haaren erscheint im Türrahmen. Ausländische Studentin, vermutet Harry. Eventuell auch: Ausländische Praktikantin. Oder beides.
Sie gibt Laras Freund einen Kuss auf die Wange. Dann verschwinden beide in der Wohnung.
»Bingo.«
17
Paul erteilt Lara klare Instruktionen.
Sie ist eine Freundin, mehr nicht. Lara ist nicht hier, um ihm bei was auch immer zu assistieren. Seine Mutter hat keinen Grund, sich zu sorgen.
»Wie machen wir deiner Mutter klar, warum ich dich so früh am Morgen besuche?«, fragt Lara.
»Ja, dann sagen wir einfach, du bist eine Studienfreundin. Du bist vorbeigekommen, um über Studiensachen zu reden.«
»Nicht, dass ich eine Ahnung hätte, was genau du eigentlich studierst.«
»Macht nichts. Meine Mutter ebenso wenig.«
»Na, gut«, sagt Lara und lacht. »Mütter verarschen. Das sind wohl die besonderen Herausforderungen als Assistentin eines Rollstuhlfahrers, von denen der ambulante Dienst sprach. Wird bestimmt lustig.«
In diesem Moment klingelt es.
Paul setzt sich in Bewegung. Doch im Türrahmen bleibt er noch einmal stehen und wendet seinen Kopf in Laras Richtung.
»Nur für's Protokoll. Ich studiere Biologie auf Gymnasiallehramt.«
Lara lächelt ihn an.
Paul öffnet die Wohnungstür.
»Junge«, ruft seine Mutter, als sie aus dem Aufzug steigt und auf ihn zugeht. »Papa ist gleich weitergefahren, aber bestimmt kommt er nachher hoch. Weißt du, was Annie mir neulich erzählt hat ...«
Sie redet wieder in einem fort. In jeder Hand hält sie eine Kuchenbox. Damit stürmt sie an Paul vorbei. Doch als die Türschwelle zur Küche überquert, fährt seine Mutter mit einem Mal zusammen, bleibt stehen und verstummt.
»Hallo Frau Altenburg«, sagt Lara, die mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Küchentisch sitzt. Sie lächelt, erhebt sich und kommt auf die Mutter zu. »Ich heiße Lara. Schön, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits«, haucht seine Mutter.
»Ja, äh, Mama«, sagt Paul. »Das ist eine Freundin. Wir, äh, studieren zusammen. Also nicht, dass du denkst ich bräuchte Hilfe ...«
»Keine Angst«, sagt seine Mutter. »Ich verstehe schon.«
Sie sieht etwas entrückt aus und strahlt plötzlich über beide Ohren.
»Äh«, sagt Paul, und dann nichts
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