Paul sucht eine Frau
Anwesenheit erklären? Seine Mutter darf auf keinen Fall erfahren, dass er Assistenz hat. Sonst sieht sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt und zieht ihn an den Ohren zurück nach Hause. Ins traute Heim, wo sich niemand so gut um ihn kümmern kann wie sie.
Und schon wieder eine Baustelle, für die er sich einen Schlachtplan ausdenken muss.
16
Als Lara am nächsten Morgen um sieben Uhr die Wohnung betritt, sitzt Paul an seinem Schreibtisch und sortiert Fotos.
Die Doktorarbeit scheint ihm wirklich wichtig zu sein. Wahrscheinlich noch bedeutsamer, als die Menschen um ihn herum.
»Morgen«, sagt Lara.
»Morgen«, erwidert Paul, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
»Du bist schon wach?«
»Konnte nicht schlafen.«
Lara geht in die Küche. Paul scheint bereits gefrühstückt zu haben. Jedenfalls sind das ganz eindeutig Nutella-Flecken auf dem Besteck und dem Teller, die achtlos in die Spüle gelegt wurden. Daneben steht eine benutzte Kaffeetasse. Essen machen fällt damit aus. Um das Chaos in der Küche kümmert Lara sich, wenn sie wacher ist.
Jetzt geht sie erst einmal zum Abstellschrank und holt den Staubsauger hervor. Saugen und danach den Boden schrubben sind genau die richtigen Arbeiten, um in Fahrt zu kommen und sich abzureagieren.
In den letzten Tagen hat sie sich mehrmals gefragt, warum Pauls Fragen bei dem Interview ihr so nahe gegangen sind. Warum hat sie das nur auf die Palme gebracht?
Klar hat sie sich ihr Leben anders vorgestellt. Möglicherweise hätte sie sich gleich nach der Schule für ein paar Praktika in der Filmbranche bewerben können, anstatt den Weg übers Soziologie-Studium zu gehen, das ihr doch nichts bringt. Fünf Jahre brotlose Kunst und ein gewaltiger Umweg mehr in ihrer Vita. Aber mit zwanzig hat sie sich das noch nicht getraut. Paul hat ihr gesagt, sie sei zielstrebig. Na, wenn der wüsste!
Und dass sie mit Martin nur zusammen ist, weil sie ihn als Versorger braucht, das kann auch nicht stimmen. Was weiß er schon von ihrem Liebesleben?
Ihr solche Aussagen an den Kopf zu werfen, das ging zu weit. Deshalb hat sie ihn eine Weile angeschmollt. Und was macht er? Er versucht gar nicht sich zu entschuldigen, sondern spielt seinerseits die beleidigte Leberwurst und schweigt sie an.
Lara beginnt im Flur mit dem Staubsaugen. Dann macht sie im Schlafzimmerbereich weiter und geht zur Wohnzimmerseite über, wo Paul immer noch an seinem Schreibtisch sitzt und in seine Arbeit vertieft ist. Und das um kurz vor acht am Morgen!
Auch als sie mit dem Saugrohr um ihn herumgeht, sieht Paul nicht zu ihr auf. Lara schaltet den das Gerät aus und geht in die Hocke, um den Bürsten-Aufsatz vom Saugrohr abzunehmen.
»Reden wir eigentlich wieder miteinander? Oder immer noch nur hallo und tschüss ?«, fragt sie, ganz beiläufig.
»Ich weiß nicht«, sagt Paul.
»Vielleicht habe ich etwas überreagiert. Wegen des Interviews.«
»Vielleicht.«
Du meine Güte. Da kommt sie ihm schon ein Stück entgegen auf dem Weg zur Versöhnung und er schafft es weiterhin, ihr die kalte Schulter zu zeigen. Als ob er derjenige wäre, dessen Lebenskonzept in Frage gestellt wurde.
Sie erhebt sich. Lara steht jetzt hinter Paul. Sie will den Staubsauger wieder starten, als ihr Blick über seine Schulter fällt. Vor ihr breitet sich seine Arbeit aus. Unwillkürlich muss sie lachen.
Was ist das?
Da liegt ein Bild von einem Affen auf dem Schreibtisch. Aber kein normaler Affe, jedenfalls nicht so, wie Affen ihrer Meinung nach aussehen sollten.
Dieses, ganz offensichtlich männliche, Exemplar hat einen knallblauen Hodensack und ein neonrotes Glied. Beides streckt er mit einem gewissen Stolz in die Kamera.
»Was ist das denn!«
» Das ist eine Grüne Meerkatze. Mein Forschungsprojekt. Das Einzige, womit ich mich tagein und -aus beschäftige, während ich an meiner Doktorarbeit sitze. Und fällt dir was auf: Wochenlang filmst du mich, wie ich meine Arbeit mache – und heute ist das erste Mal, dass du mich darauf ansprichst.«
Jetzt ist sie sprachlos. Stimmt das, was er sagt? Weiß sie wirklich nicht, wovon seine Doktorarbeit handelt? Schlimmer noch: Was genau studiert Paul eigentlich? Biologie, Zoologie? Irgendwie so etwas muss es sein.
»Weißt du, Lara, wenn du einen Film über Rollstuhlfahrer drehen willst, solltest du erst mal einen Rollstuhlfahrer kennenlernen, bevor du ein Konzept erarbeitest. Auch Rollstuhlfahrer erleben Dinge. Und weißt du was? Wir haben auch Gefühle.«
Lara zieht sich einen
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