Paul sucht eine Frau
Wenn du unbedingt willst. Ich hatte das schon mal zur Sprache gebracht, aber da hattest du mir nicht geantwortet. War wohl die falsche Zeit ...«
»Nun frag schon.«
»Na, gut. Was ist dein Ziel im Leben?«
Paul muss nicht lange überlegen.
»Ich will neue Erkenntnisse liefern mit meiner Arbeit, die es so noch nicht gab. Meine Doktorarbeit soll ein Standardwerk zum sozialen Verhalten der Grünen Meerkatzen werden. Das Thema wurde bisher nie bis in Detail erforscht. Zumindest wurden einige Schwerpunkte, die ich setze, so noch nicht in einem gut verständlichen Buch publiziert. Und das ist doch schade, oder?«
Täuscht er sich, oder ist das ein Lächeln, das sich gerade in Laras Gesicht abzeichnet? Es wäre das erste Mal bei ihren Interviews, dass seine Antworten sie voll und ganz zufriedenstellen.
Aber warum? Was ist so beeindruckend daran, wenn jemand ein Ziel im Leben hat?
18
Lara sitzt am Schnittplatz im Medienforum und sieht sich ihr Rohmaterial an.
Sie zieht den Clip des neusten Interviews mit Paul in die Timeline des Editing-Programms und führt ein paar Schnitte aus. Am Ende bleiben von dem zwanzigminütigen Material mehr als sieben Minuten mit sinnvollen Aussagen, die sie eventuell im fertigen Schnitt nutzen kann. Eine großartige Ausbeute.
Was Paul in dem Interview sagt, hat Esprit und es weckt Gefühle. Aber warum ist es ergreifender, wenn er von seinen Träumen spricht, als wenn er von seinen Herausforderungen als Mensch mit Behinderung berichtet?
Sie wählt den Ordner mit dem Titel Füllbilder Paul aus. Auch hier sind etliche Clips dazugekommen, seit sie das Material das letzte Mal sortiert hat. Sie klickt auf einen der Clips. Er öffnet sich im Vorschau-Fenster und sie drückt auf die Leertaste, um das Abspielen zu starten.
Es ist eine Szene, in der Paul im Bett sitzt und sich anzieht – erst heute Morgen haben sie das aufgenommen. Leider schaut Paul ständig in die Kamera und man sieht deutlich, dass er zu der Person hinter der Kamera blickt. Und dabei im Scherz-Modus ist. Im Film kann sie das nicht nutzen. Aber es freut sie, dass die Chemie zwischen Paul und ihr bei den Aufnahmen endlich aufgelockert ist.
Beim nächsten Clip, den sie öffnet, ist Paul zu sehen, wie er sich ein schwarzes T-Shirt mit bunten Farbtupfern über den nackten Oberkörper streift.
Lara spielt die Szene noch einmal ab. Dass er ernsthaft Sport treibt, sieht man ihm an, trotz seiner körperlichen Einschränkungen.
»Olala«, sagt Henrike, die plötzlich hinter Lara steht und ihr über die Schulter blickt.
Lara fährt zusammen.
»Mensch, hast du mich erschreckt. Ich habe gar nicht gehört, wie du reingekommen bist.«
»Klar. Du warst mit Wichtigerem beschäftigt. Er sieht aber auch wirklich schnuckelig aus, dein Protagonist. Nur an seinem Klamottenstil sollte er arbeiten.«
»Ich fand es nur interessant, dass er so sportlich gebaut ist, obwohl er gar nicht mehr alle Muskeln hat und ...«
»Na, brauchst nicht gleich rot werden.«
»Wieso sollte ich rot werden?«
Ja, warum eigentlich? Immerhin schneidet sie nur ihren Film.
Henrike legt Lara eine Hand auf die Schulter.
»Ja, ja. Ist ja schon gut, Süße. Weitermachen.«
Kaum hat sie das gesagt, zieht sie ihre Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und zündet sich eine an.
Als Henrike den Raum verlässt, sieht Lara wieder zu dem Bildschirm, auf dem Paul nun als Standbild mit seinem T-Shirt zu sehen ist.
Henrike hat recht. Bei Pauls Kleidungsstil besteht in der Tat Verbesserungspotential.
* * *
Lara und Paul sitzen an seinem Schreibtisch. Vor ihnen ausgebreitet liegen mehrere Affen-Fotos, Textblätter und Bildbände.
»Und du bist dir sicher, dass dich meine Arbeit nicht langweilt?«, fragt Paul.
»Wenn ich dich verstehen will, muss ich auch nachvollziehen, was du machst. Du hattest recht. Als Protagonist in meinem Film muss ich dich in all deinen Facetten zeigen.«
Sie macht das für ihren Film. Doch mittlerweile findet sie seine Forschung spannend. Dass sie wochenlang für ihn arbeitet und erst vor ein paar Tagen kapiert hat, dass Paul Biologie auf Gymnasial-Lehramt studiert, wird sie ihm natürlich nicht unter die Nase reiben. Jetzt da es so gut läuft zwischen ihnen.
Sie beeindruckt es, dass er eine Doktorarbeit schreibt, obwohl er sicherlich auch ohne den Titel einen Job als Lehrer bekommen würde. Aber Paul will etwas Bleibendes schaffen. Das kann sie nur zu gut verstehen.
»Na gut«, sagt Paul. »Wenn du dich wirklich für meine
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