Paula Kussmaul laesst nicht locker
liegt?«
Paula wollte sagen, dass Enno, als sie ihn im Regen suchten, noch gar nicht bei ihr unter dem Bett gelegen hatte. Doch sie brachte noch immer kein Wort heraus. Was Katja und Jenny dachten, war ja auch gar nicht so wichtig – was Ennos Eltern jetzt von ihr glaubten, war viel schlimmer. Sie mussten ja denken, sie hätte sie von Anfang an belogen. Und das auch noch ganz absichtlich.
Noch aber dachten Ennos Eltern nicht an Paula, noch freuten sie sich nur, ihren Enno wiederzuhaben. Immer wieder fuhr Ennos Mutter ihrem Sohn zärtlich übers igelkurze Haar und strahlte ihn dabei an, als könnte sie ihr Glück noch gar nicht fassen. Dann aber sagte sie, dass ihr Mann und sie ja eigentlich nur gekommen seien, um gemeinsam mit Paula zur Schule zu gehen. Weil doch heute die Polizei kommen wolle, um alle Schüler nach Enno auszufragen. Paula hätte ihnen auf dem Weg zur Schule ja noch ein bisschen was über Frau Stein und die Klasse erzählen können. Nun aber werde die Polizei gar nicht mehr kommen müssen. Ennos Mutter wollte sofort auf der Wache anrufen und sagen, dass ihr Enno wieder da sei.
Das Letzte hatte auch Paulas Mutter gehört. Der Lärm hatte sie wach gemacht. In ihrem Bademantel stand sie in der Tür zu Linus' und Paulas Zimmer und kuckte verwundert.
Herr Fühmann versuchte Paulas Mutter alles zu erklären. Aber das konnte er ja gar nicht. Woher sollte er denn wissen, wie alles zusammenhing? So sahen schon bald alle wieder Paula an und erwarteten von ihr, dass sie die Sache endlich aufklärte.
Dazu aber hätte Paula den Mund aufbekommen müssen. Und das funktionierte irgendwie nicht. Es war wie in ihrem Traum von der hohen Mauer: Plötzlich hatte sie die Sprache verloren. Also machte sie, als alle Blicke auf ihr ruhten, ein paar Schritte rückwärts, stürzte ins Bad und drehte von innen den Schlüssel herum. Damit war sie erst mal gerettet.
Paula hörte, wie Herr und Frau Fühmann gingen – natürlich nahmen sie Enno mit –, sie hörte, wie Katja, Jenny und Linus zur Schule aufbrachen, und sie hörte, wie die Mutter danach an ihre Tür klopfte und zu ihr sagte, fünf Minuten gebe sie ihr noch, dann müsse sie rauskommen oder sich zukünftig ein eigenes Badezimmer mieten.
Da erst schloss sie ganz zaghaft die Tür auf und stand vor ihrer Mutter. »Ich ... ich ...«, stotterte sie. Die Mutter aber legte ihr nur den Arm um die Schultern, ging mit ihr in die Küche, drückte sie auf einen Stuhl nieder und setzte sich ihr gegenüber. »Nun erzähl mal! Und das bitte ganz ruhig. Es gibt schlimmere Verbrechen als deins.«
Worte, die Paula ihr Geständnis leicht machten. Wie sie Enno im alten Taubenschlag gefunden hatte, erzählte sie, und wie sie ihn nur deshalb mitgenommen hatte, damit er nicht wieder davonlaufen konnte. Wie sie aber trotzdem ein schlechtes Gewissen hatte und deshalb aufpassen wollte, dass er auch ganz bestimmt zu seinen Eltern zurückkehrte.
Die Mutter hörte aufmerksam zu und blickte Paula dabei immer wieder ins Gesicht. Als Paula endlich fertig war, schwieg sie lange.
Paula saß da und wartete. Was würde die Mutter nun sagen? Wie schlimm war das, was sie getan hatte? Und ob Enno seinen Eltern inzwischen auch erzählt hatte, wie alles wirklich gewesen war?
Die Mutter dachte sehr lange nach. Paula wurde schon ungeduldig. Weshalb schimpfte sie nicht mit ihr? Hatte sie denn ganz vergessen, dass sie noch zur Schule musste? Zu spät kommen würde sie ohnehin, aber wenn die Mutter noch länger so mit ihr herumsaß, brauchte sie erst gar nicht mehr loszugehen.
Endlich machte die Mutter den Mund auf. Und was sagte sie da? Sie sagte: »Du hast alles richtig gemacht. Es gefällt mir nicht, dir das sagen zu müssen, weil ich eine Erwachsene bin und sicher ganz anders gehandelt hätte – aber aus deiner Sicht hast du alles richtig gemacht.«
Paula glaubte, sich verhört zu haben. Ihre Mutter schimpfte nicht mit ihr, sondern lobte sie?
Die Mutter konnte es Paula ansehen, wie überrascht sie war. Sie nickte ernst. »Was wahr ist, muss wahr bleiben. Aber auch Linus hat alles richtig gemacht. Aus seiner und aus meiner Sicht. Deshalb darfst du ihm nicht böse sein.«
Paula war Linus nicht mehr böse. Sie war überhaupt niemandem böse. Im Gegenteil, wenn da nicht der Gedanke an Fühmanns gewesen wäre und dass Ennos Eltern sie nun vielleicht für eine ganz hartherzige Lügnerin hielten, hätte sie gestrahlt vor lauter Glück. Es war ja alles so gekommen, wie sie es sich gewünscht hatte.
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