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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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natürlich, wo ich wohne, wie ich heiße und all das. Seitdem beobachtet er mich. Anonyme Mails,
     nächtliche Anrufe, seltsame Briefsendungen – das ganze Programm. Nichts wirklich Bedrohliches, aber es nervt, und ich habe
     seitdem ununterbrochen das Gefühl, dass mir jemand zusieht, bei allem, was ich tue.« Jetzt hob sie den Blick und versuchte
     ein etwas gequältes Lächeln. »Nur während der letzten zehn Tage nicht. Was auch immer man über diese bescheuerte Idee sagen
     mag, uns |122| sechs Wochen lang durch die Hölle zu jagen – ich werde wenigstens nicht die ganze Zeit über beobachtet.« Sie zog die Hand
     langsam weg. »Aber es verstärkt gleichzeitig die Angst vor dem, was mich zu Hause erwartet. Und dabei fühle ich mich dort
     am wohlsten.« Mit diesen Worten traten ihr Tränen in die Augen. Sie nahm das Glas und kippte den Rest runter, und in der gleichen
     Bewegung bestellte sie Nachschub. Ich war versucht, sie zu fragen, ob sie der Meinung wäre, durch Sauferei etwas zu verbessern,
     beschloss aber, es bei einer anderen Gelegenheit zu tun.
    »Außerdem hat es mir das Internetdating erst mal völlig verleidet. Ich bin zwar noch in einigen Foren zugange, mache aber
     keine Treffen mehr aus.«
    »Dafür hättest du im Moment ja auch weder Zeit noch Gelegenheit.«
    »Schlimm genug.« Sie drehte sich auf dem Barhocker um. Der DJ hatte vor ein paar Minuten die Arbeit aufgenommen, und die ersten
     Leute tanzten – ein paar junge Touristinnen, keine Männer. Ein paar durchaus ordentliche Effekte beleuchteten den Dancefloor,
     der Sound war knackig, aber wir befanden uns ja auch in einem Fünf-Sterne-Hotel. Landeskategorie. Was für ein witziges Wort.
    »Hast du Lust?«, fragte sie und nickte in Richtung Tanzfläche.
    »Nur im Notfall. Ich tanze nicht wirklich gern.«
    »Na, ich kann auch allein abhotten«, sagte sie gespielt beleidigt, schob sich vom Hocker – und dann tat sie es. Abhotten.
     Ich sah ihr ein paar Minuten zu, bewunderte die coole Ausgelassenheit, mit der sie sich der Musik hingab (aktueller Chartkrempel),
     und ihre selbstsicheren Bewegungen, denen man den Alkohol überhaupt nicht anmerkte. Dann wandte ich mich wieder der Bar zu
     und orderte ein neues Heineken, zündete mir eine Zigarette an – das Rauchverbot hatte Afrika noch nicht erreicht – und beobachtete
     die Leute um mich herum. Viel zu sehen war da nicht. Die Marokkaner umstanden inzwischen die Tanzfläche, und außer mir saß
     nur ein europäisches Pärchen in meinem Alter am Tresen. Die |123| beiden schnäbelten heftig, was mir einen kleinen Stich versetzte. Am Anfang unserer Beziehung hatten Silke und ich jede Sekunde
     genutzt, um intensiv miteinander zu knutschen, genauso, wie die beiden es gerade taten, und manchmal im Restaurant dabei sogar
     das Essen kalt werden lassen. Das hatte nach ein paar Monaten aufgehört, einfach so und ohne dass wir es je thematisierten.
     Wir küssten uns danach immer noch, aber fast nur noch beim Sex so richtig, in den ersten zwei, drei Jahren jedenfalls. Ich
     zog meine Brieftasche aus der Hose, ohne zu realisieren,
dass
ich es tat, und klappte sie auf. Das Portemonnaie war ein Geschenk von Silke. In einem Seitenfach stecke ein Foto von ihr,
     das vier oder fünf Jahre alt war, aber sie hatte sich seitdem kaum verändert. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass sie
     sogar hübscher geworden war. Das Bild zeigte sie im Halbprofil, es war für eine Imagebroschüre ihres Arbeitgebers entstanden,
     weshalb sie das Lächeln nur andeutete. Ihr Lächeln. Wenn sie strahlte, dann verblasste die Sonne zur Energiesparlampe.
    »Vergangenheitsbewältigung?«
    Nina war verschwitzt, aber ihre Laune schien sich verbessert zu haben, was vielleicht an dem Marokkaner lag, den sie im Schlepptau
     führte. Ein wirklich schöner junger Mann, bis auf die lädierten Zähne, die er jetzt zeigte, als er grinsend eine Verbeugung
     andeutete.
    Ich schüttelte den Kopf und schob das Bild zurück. »Von bewältigt kann wohl noch keine Rede sein.« Dann wischte ich mir mit
     dem Handrücken über die Augen.
    »Trink was, das hilft«, behauptete sie. »Das hier ist übrigens Jules.«
    »Hallo, Jules«, sagte ich.
    »Hallo«, antwortete er, ohne H am Anfang:
Alo
.
    »Sprichst du Deutsch?«, fragte ich. Er grinste mich an und präsentierte abermals sein poröses Gebiss. In gewisser Weise hatte
     er für das bemerkenswerte Zahngebirge meine Hochachtung. Es war sicher nicht leicht gewesen, die Kauleiste so früh und

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