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vorausgesehen hat, scheint es, dass ganze Wissenschaftszweige sich computerisierten: von der Linguistik über die Ökonomie bis zum Arbeitsplatzmanagement, von der Psychologie bis zur Hirnforschung, von der Pädagogik bis zur Medienwissenschaft. Es wirkt jetzt, als seien die unterschiedlichsten Disziplinen wie in einem Brennglas, dem Computer, zusammengeschlossen.
Als die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte und deutlich wurde, welche Rolle der Computer in ihr spielte, schrieb Jaron Lanier, der als Bürgerrechtsbewegter in der digitalen Welt eine wichtige Rolle spielt: »Es ist wirklich möglich, dass Evolutionspsychologie, künstliche Intelligenz, die Verherrlichung des Mooreschen Gesetzes und der Rest des ganzen Pakets zu etwas völlig Neuem wird, so wie Freud oder Marx in ihrer Zeit. Oder sogar noch größer, weil diese Ideen letztlich in die Software eingebaut werden, die unsere Gesellschaft kontrolliert.« 118
Die moderne Hirnforschung beispielsweise könnte die Aufregung des Internet-Pioniers Jaron Lanier nicht verstehen, der in einem legendären Schlagabtausch Pattie Mae vorwarf, durch digitale Steuerungen die Willensfreiheit des Menschen auszuhöhlen. 119 »Verschaltungen legen uns fest«, schreibt der Hirnforscher Wolf Singer und löste damit eine bis ins Strafrecht reichende Debatte darüber aus, ob der Mensch für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. 120
In der wirklichen Welt, so Singer, werden wir von neurochemischen Prozessen programmiert, die unsere angeblich freien Handlungen bestimmen. »Die Idee eines freien, menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren«, ergänzt der Psychologe Wolfgang Prinz, Direktor des Max-Planck-Instituts für Neurowissenschaften. 121
Natürlich sind die Hirnforscher nicht weltfremd. Wolf Singer ist der erste, der einräumt, dass Kultur, Erziehung, Normen den Menschen so programmieren können, dass er subjektiv zu einem Wesen des freien Willens wird. Sie argumentieren wie die Quantenphysiker. Was die Wissenschaft erkannt hat - zum Beispiel, dass der Mensch nicht der Urheber seiner Taten ist -, muss im wirklichen Leben - etwa im Strafrecht - keine Rolle spielen. Immerhin reden wir ja auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch davon, dass die Sonne »aufgeht«, obwohl in Wahrheit ja die Erde sich bewegt. Aber der Vergleich stimmt nicht. Denn jetzt haben wir das computergesteuerte Internet als sozialen Lebensraum erobert. Unterhalb der Benutzeroberflächen befinden sich die Maschinenräume, die Nicht-Informa-tiker niemals zu sehen bekommen. Aber dort werden unsere digitalen Doppelgänger gebaut, und ihre moralische Rechtfertigung stammt, worauf Danny Hillis hinweist, auch aus der Hirnforschung. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt, bis das Werkzeug, also der Computer, den Menschen ein weiteres Mal verwandelt.
Auch in unserem Kopf haben wir nur eine Suchmaschine, deren Dopaminproduktion wir durch codierte Akazien steuern oder anzapfen müssen.
Sie misstrauen der nächsten Software-Generation, die jetzt schon weiß, welches Restaurant Ihnen gefällt?
Entspannen Sie sich, sagen die Informatiker. Sie haben ja, wie eine Auswertung Ihrer Assoziationen belegt, Ihre Entscheidung längst getroffen, weil Sie vergleichbar sind mit einer Vielzahl anderer Menschen, die eine ähnliche Such-, Facebook-, Twitter-, Bloggeschichte haben wie Sie selbst. Die Entscheidung findet nur etwas früher im Computer statt als bei Ihnen. Und die Neurowissenschaft assistiert: Ich will, was ich tue.
»Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.« Das sagt Wolfgang Prinz und fügt hinzu: »Eine Entscheidung (findet) früher im Gehirn als im Bewusstsein einer Person statt. Das kann nur bedeuten, dass unser bewusster Willensimpuls so etwas wie ein Ratifizieren einer Entscheidung ist, die das Gehirn schon getroffen hat: Ich will, was ich tue.«
Man kann dieses Spiel immer weiterspielen, es auf Konsum, Moral, Erziehung ausdehnen: Die Matrix funktioniert, ohne sich selbst zu widersprechen. 122
Es wäre unfair, die Hirnforscher dafür verantwortlich zu machen, dass die Abteilung künstliche Intelligenz ihre Theorien gewissermaßen in die Computer einbaut. Allerdings scheint sie die buchstäbliche »Verarbeitung« ihrer Theorien im Bereich der Informationstechnologien zumindest in Europa noch nicht wirklich zu interessieren.
Zum Beispiel die Thesen von Jeff Hawkins, der einst den Palm-Pilot erfand, den Großvater
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