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Payback

Titel: Payback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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erwecken.
    Die Wissenschaftler fanden ein altes Kloster, das sie für eine Woche mieteten, und gaben den Teilnehmern - siebzig bis achtzigjährigen Männern - eine Reihe von Verhaltensregeln. Jedes Gespräch und jede Diskussion sollte im Präsens, in der Gegenwartsform, geführt werden. Die Teilnehmer durften keine Bücher, Zeitungen, Familienfotos mitbringen, die jünger waren als 1959. Außerdem mussten die Probanden ihre Lebensgeschichten im Präsens aufschreiben, als seien sie im Jahre 1959, und Fotos von sich aus der damaligen Zeit schicken, die an alle anderen Teilnehmer versandt wurden.
    Eine Kontrollgruppe wurde an einen anderen Ort gebracht. Hier sollte das Jahr 1959 nur Erinnerungsstoff sein. Die Teilnehmer brachten aktuelle Fotos, Zeitungen und Zeitschriften mit, schrieben ihren Lebenslauf in der Vergangenheitsform, durften in der Vergangenheitsform reden und bekamen so die ständige Information, dass 1959 Vergangenheit sei.
    Vorausgegangen waren umfassende Recherchen. Die Forscher suchten nach allen Details des Jahres 1959: Die politischen und sozialen Debatten, die Fernseh- und Radioprogramme, die Möbel, Geräte und Gegenstände - es entstand eine vollkommene Kopie der Welt von gestern.
    Es muss, nach dem Bericht, den Ellen Langer gab, ziemlich filmreif gewesen sein: Gespräche über den ersten US-Satelliten, der »letztes Jahr« (1958) gestartet sei, Fidel Castros Vormarsch auf Havanna, Nat King Cole singt im Radio, und im Fernsehen läuft »Ben Hur«. Abends spricht Dwight D. Eisenhower an die Nation.
    Dann wurden die Teilnehmer mit Informationen bombardiert. Ihnen wurden in schneller Folge Fotos von Groucho Marx, Elvis Presley oder Nikita Chruschtschow gezeigt und ihre Reaktionszeit gemessen. Ihre Bewegungsabläufe, Körperhaltung und ihre Gesten wurden am Anfang und am Ende des Experiments auf Video aufgenommen, ebenfalls die Art, wie sie ihre Mahlzeiten einnahmen, ob sie von selbst in die Küche gingen oder auf Hilfe warteten und so weiter.
    Aufnahmen, die vor und nach dem Experiment gemacht wurden, wurden von nicht eingeweihten Betrachtern in die umgekehrte Reihenfolge eingeordnet. Sie schätzten, dass die späteren Fotos um Jahre jüngere Männer zeigten. Die Männer bewegten sich schneller, gingen mit Informationen der wirklichen Gegenwart freier um und waren insgesamt gesünder. Die überraschenden Beobachtungen ließen sich nicht durch einen »Urlaubseffekt« erklären, denn sie traten bei der Kontrollgruppe nicht oder nur sehr vermindert auf, und in vielen Fällen verschlimmerte sich deren Gesundheitszustand sogar.
    Bei der ersten Gruppe hingegen entwickelte sich Arthritis zurück, die Beweglichkeit verbesserte sich, erlernte Hilflosigkeit oder Passivität verschwand fast vollständig. Die Menschen saßen aufrechter, Fingerfertigkeiten nahmen zu, die Sehkraft verbesserte sich signifikant. Am deutlichsten aber war der Gewinn an geistigen Fähigkeiten: In Intelligenz- und Konzentrationstests schnitten die Männer viel besser ab als vor dem Experiment - und weitaus besser als die Kontrollgruppe.
    Hier ging es nicht nur um eine Verbesserung mentaler und körperlicher Fähigkeiten bei Menschen, denen nur noch Verfall unterstellt wird. Entscheidender ist eine andere Erkenntnis: Die Menschen wurden gesünder, weil ihr Gehirn sich die Informationen unterordnete. Keine Information konnte in dieser Zeitreise so dringend sein, dass man ihr nachhetzen musste, denn alles war schon geschehen, und doch war alles neu. »Wir lesen in Zeitschriften Artikel um Artikel«, schreibt Ellen Langer, »es gibt Berge von Büchern und Fernsehsendungen. Wir sind besessen von Gesundheit und Fitness. Doch wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir, dass wir nichts wissen. Aufmerksamkeit für die Gesundheit hat nichts damit zu tun, ärztliche Emp fehlungen anzunehmen oder zu ignorieren, noch mit New-Age-Medizin. Es geht einzig und allein darum, uns von begrenzenden Denkweisen zu verabschieden.« 148
    Die Ergebnisse dieser Studie wurden in Hunderten anderen Arbeiten bestätigt, aus dem Bereich der Gesundheit, des Lernens, der Kreativität. So wurden an Patienten Bewältigungsstrategien bei Operationen untersucht. Eine Gruppe bekam sämtliche statistische Informationen über zu erwartende Schmerzen, Operationsverlauf, statistische Gefahren, den Genesungsprozess, Erklärungen - in der Hoffnung, ihnen damit das Gefühl zu geben, durch die Informationen das Gefühl von Kontrolle zu bekommen. Einer anderen Gruppe wurden keine

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