Payback
Autopsie Prostata-Krebszellen auf. »Jeder hat Krebszellen. Wenn jeder dieser armen Kerle sich einem PSA-Test unterzogen hätte, hätte er die letzten Jahre oder Jahrzehnte seines Lebens mit körperlichen Verstümmelungen leben müsssen.« 152
Es geht nicht darum, dass die Computer falsch rechnen - was sie unter Umständen auch tun. Es geht darum, dass die Art, wie wir die Informationen präsentieren, uns die Chance zur freien Wahl nimmt. Sie wiegen uns in falscher Sicherheit, weil man nicht in der Lage ist (die Berliner Wissenschaftler würden sagen, nie gelernt hat), den begrenzten Aussagewert der Statistik zu übersetzen.
Gut, sagen die Softwarefirmen, dann erklären wir, wie man die Informationen
versteht
: per Computerprogramm.Wenn ein Computer schon benutzt wird, um über die geistige Produktivität von Tausenden von Mitarbeitern zu urteilen, warum nicht auch dazu, ihre geistigen Defizite auszugleichen? Allerdings selbst wenn das gelingt, entgegnet Gerd Gigerenzer, »kann der Computer bestimmte kognitive Fähigkeiten nicht ersetzen.Wenn zum Beispiel ein Arzt nicht versteht, dass 5-Jahre-Überlebensraten beim Krebs-Screening nichts darüber aussagen, ob ein Patient durch Screening länger lebt, dann hilft auch das Programm wenig. Wir führen gerade eine Untersuchung von Ärzten zu diesem Thema durch, und die vorläufigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass etwa 90 Prozent der Ärzte diese Statistik falsch verstehen. Am Ende muss man erst lesen lernen, bevor man zum Computer geht.« 153
MODEN, TRENDS, BLASEN UND HYPES
ollte sie ein Pulverfass anzünden oder nicht? Diese Frage konnte ihr Google nicht beantworten. Es war die Frage, die sich die Schriftstellerin Karen Herlihy in einem autobiografischen Bericht stellte, als sie eines Tages in Facebook auf den Account ihrer leiblichen Mutter stieß. 154 Karen hatte es bereits im wirklichen Leben versucht, hatte bereits auf anderen Wegen die Adresse ihrer Mutter herausgefunden. Aber ein verabredetes Treffen am Flughafen fand nicht statt. Die Mutter erschien einfach nicht. Sie hatte Karen vor Jahrzehnten zur Adoption freigegeben, und obwohl Karen sie verzweifelt darum gebeten hatte, war sie nicht bereit gewesen, mit der mittlerweile erwachsen gewordenen Tochter auch nur zu reden: Keiner in ihrem neuen glücklichen Leben, so die Argumentation, wisse von der Tochter, und das solle auch so bleiben.
Es gab also keine Verbindung, bis der Computer eines Tages den Kontakt herstellte. Und zwar, so wie Computer das zu tun pflegen, durch einen Knopfdruck. Karen entdeckte ihre Mutter beim googeln bei Facebook. Auf dem Bildschirm leuchtete der Schalter »Als FreundIn hinzufügen«. Sollte Karen den Account hacken, ihr Foto reinstellen und darunter schreiben »Hallo! Mich gibts auch noch!«? Die anderen Kinder ihrer Mutter anmailen, die Freunde antwittern, die Karen sich durch die Freundschaftsliste ihrer Mutter binnen Sekunden zusammengegoogelt hatte? Sie wurde geradezu überflutet mit Informationen aus der verschlossenen Welt ihrer Mutter und wusste zugleich, dass sie mit einer einzigen Information diese ganze Welt in die Luft sprengen konnte. Ob sie das tun sollte oder nicht, darauf gab der Computer keine Antwort. Es war ein Fehler, die Mutter zu googeln. »Deine Mutter ist ein Computer. Sie ändert ihr Konzept nicht«, sagte ihr Freund, und dieser Vergleich überzeugte sie.Trotz ihrer Wut verzichtete sie darauf, das Leben der Mutter zu hacken. Sie gibt auf, verstört davon, dass sie nicht wegrennen konnte und für alle Zeiten im Netz in unaufhebbarer Nähe zu ihrer Mutter existieren würde.
Interessant ist, wie Karen Herlihy diese Resignation im Zeitalter der Informationstechnologien formuliert: »
Ich werde nichts mehr suchen, was nicht durch eine Internet-Suche gefunden wer
den kann.
«
Was bedeutet das? Wir suchen nur noch das, worauf wir Antworten bekommen können. Es ist, als befände man sich ausgestattet mit modernster Technik in einem mittelalterlichen Kosmos, in dem Menschen glauben wollten, dass nicht alles eine Antwort hat. Auch die Bibel war einst eine große Suchmaschine, die eine Antwort auf alles wusste. Und wusste sie die Antwort nicht, war es besser, nicht danach zu suchen.
Aber nicht die Antworten unterscheiden uns von den Maschinen, sondern die Fragen. In der digitalen Gesellschaft, prophezeit sehr zu Recht der digitale Vordenker Kevin Kelly, werden die richtigen Fragen wertvoller sein als die Antworten. 155
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