Peacemaker
Demütigung erspart blieb, gegen Geländer und Rohre zu stoßen, die sie nicht sehen konnte.
Die Dschihadisten stießen sie vor sich her in den Kontrollraum, und was sie durch die Fenster sah, schnürte ihr die Kehle zu. Am Tag, bevor die Bohrinsel gekapert worden war, hatte sich der Himmel in einem leuchtenden, freundlichen Blau präsentiert. Jetzt war er bleiern und von tiefen Wolken verhangen, und starker Regen prasselte gegen die Fensterscheiben des KontrollrauMs Links von der Treppe befand sich die Wetterstation – Niederschlagsmesser, Digitalthermometer, Barometer sowie ein Windmesser, dessen Propeller sich so schnell drehte, dass die einzelnen Flügel nicht mehr zu erkennen waren.
Die Wellen unter der Bohrinsel sahen beunruhigender aus als gestern. Kate war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich höher waren, doch der Wind zerriss die Wellenkämme und krönte sie mit weißer Gischt. Inzwischen wehte der Wind konstant stark und ohne die leiseste Abweichung aus Westsüdwest – genau die Windrichtung, bei der die höchsten Wellen entstanden. Die Nacht war noch nicht angebrochen, und es war noch hell genug, dass sie die schwarzen Wolken und die Regenwand sehen konnte, die sich der Bohrinsel schnell näherten.
Kate hörte Schritte auf dem Metalldeck. Als der amerikanische Dschihadist – Abu Nasir oder Tillman Davis oder wie auch immer er hieß – auf sie zukam, brachen plötzlich die Wut und der Frust und die Angst aus ihr heraus, die sich seit Stunden in ihr aufgestaut hatten.
»Was haben Sie mit meinen Leuten gemacht?«, brüllte Kate ihn an. »Ich will sie sehen!«
Einer der Dschihadisten rammte ihr einen Gewehrkolben in die Niere. Der Schmerz fuhr ihr in der Seite nach oben und war so stechend, dass ihr übel wurde. Sie verlor das Gleichgewicht und sank auf ein Knie. Der Amerikaner sagte etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand, worauf sie der Dschihadist, der sie geschlagen hatte, wieder auf die Beine hievte.
»Sie werden Ihre Leute nicht sehen, Ms Murphy. Ich habe Sie hier hochbringen lassen, weil ich ein paar Fragen an Sie habe, was das Dämpfungssystem betrifft. Ich höre immer wieder ein dumpfes Geräusch und wüsste gerne, ob ich beunruhigt sein sollte.«
Kate sah ihn unverwandt an und sagte: »Ja. Das sollten Sie.«
»Wie beunruhigt?«
»Sehr.« Kate gab ihm einen kurzen Abriss der Probleme mit dem Dämpfungssystem. Sie deutete mit einem Nicken durchs Fenster auf den Horizont. »Der Taifun wird die Bohrinsel möglicherweise in sich zusammenstürzen lassen, wenn wir das Problem nicht rechtzeitig beheben.«
Sie hoffte, ihn damit schocken zu können, und sah, dass ihr das auch gelungen war. Doch bevor Abu Nasir ihr noch eine weitere Frage stellen konnte, wurde er von einem großen Asiaten unterbrochen, der eher wie ein Koreaner aussah als wie ein Mohanese. »Gideon Davis ruft uns wieder über Funk.«
»Was will er denn jetzt?«
»Die Bestätigung, dass Sie ihm sicheres Geleit gewähren.«
Abu Nasir nickte. »Sagen Sie ihm, was er hören möchte.«
Der Asiat lief wieder die Treppe zum Bohrdeck hinunter. Das Funkgerät der Obelisk befand sich im Kontrollraum auf dem Bohrdeck, wie Kate wusste.
Abu Nasir wandte sich wieder an Kate. »Jemals von Gideon Davis gehört?«
Kate gab keine Antwort. Selbstverständlich war ihr der Name Gideon Davis ein Begriff. Man konnte weder Zeitung lesen noch den Fernseher einschalten, ohne Gideon Davis’ Gesicht zu sehen.
»Wir sind Brüder.« Der bärtige Amerikaner lächelte. »Ironisch, was?«
Kate seufzte.
»Langweile ich Sie? Vielleicht sollte einer meiner Männer Sie ein bisschen in die Mangel nehmen, damit Sie sich mehr für meine witzigen Bemerkungen interessieren.« Abu Nasir lachte. »Tja, auf jeden Fall hat der Präsident der Vereinigten Staaten ihn geschickt, damit er mit uns verhandelt.«
»Gut«, sagte Kate.
»Mein Bruder und ich haben uns noch nie verstanden. Jedes Mal, wenn wir uns unterhalten, endet das in einem Streit. Deshalb frage ich mich, ob ein Gespräch mit ihm nicht … Wie lautet das Wort, nach dem ich suche? Unproduktiv wäre?«
Während Abu Nasir sprach, kamen mehrere seiner Männer die Treppe herauf und fingen an, am Rand des Helikopterdecks ein großes Maschinengewehr auf einem Stativ aufzubauen.
Der Amerikaner drehte sich mit einem Schulterzucken wieder zu Kate um. »Mal ehrlich, was würde uns denn das bisschen Geplauder jetzt noch bringen? Sobald ich hier fertig bin, setzen wir beide uns hin, und Sie erzählen mir,
Weitere Kostenlose Bücher