Pechstraehne
jetzt kommen Sie bitte hoch.«
Er zog sie sanft am Arm nach oben, und sie folgte ihm bereitwillig zu dem an der Wand stehenden grell roten Sofa.
»Legen Sie sich hin. Möchten Sie ein Glas Wasser?«
»Nein, danke«, erwiderte sie schluchzend. »Ich will, dass mein Mann nach Hause kommt. Ich will, dass alles gut ist.«
»Können wir jemanden anrufen, Frau Specht, der sich um Sie kümmert? Vielleicht Ihre Mutter? Oder eine Freundin?«
»Nein, das möchte ich nicht. Meine Mutter wohnt nicht in Kassel. Und eine Freundin, die ich jetzt sehen wollte, habe ich nicht.«
Ihr Blick traf Lenz wie ein Peitschenhieb.
»Wie ist es passiert?«
»Es war, wie es sich bis jetzt darstellt, ein Unfall. Ein Lastwagen hat seine Fahrspur verlassen und ist mit dem Wagen, in dem Ihr Mann saß, frontal zusammengestoßen.«
»In welchem Auto saß er denn?«
»In dem eines Kollegen. Sein Name ist Nasif Yildirim.«
Sie riss die Augen auf und fixierte den Kommissar noch intensiver.
»Yildirim? Markus würde nie in das Auto dieses Proleten steigen.«
In ihrem Gesicht spiegelte sich schlagartig so etwas wie Hoffnung wider.
»Vielleicht ist der, der verunglückt ist, gar nicht Markus. Haben Sie es wirklich überprüft, ob es mein Mann ist? Wenn Sie sagen, dass er in Yildirims Wagen gesessen haben soll, ist das nämlich fast unmöglich.«
»Kannten Sie Herrn Yildirim?«
»Wie Sie das sagen, klingt es, als ob er auch tot sei.«
»Das stimmt leider, ja. Kannten Sie ihn?«
»Flüchtig.«
Wieder kullerten dicke Tränen über ihr Gesicht, und das Schluchzen wurde lauter.
»Was soll ich nur ohne ihn anfangen?«
»Ich würde gern professionelle Hilfe für Sie organisieren, Frau Specht«, erklärte Lenz der Frau nun sehr deutlich. »Es wäre nach meiner Meinung das Beste. Was meinen Sie dazu?«
Silke Specht deutete ein Kopfnicken an.
»Danke, das ist sehr nett von Ihnen.«
*
»Was für eine Scheiße«, brummte Lenz. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt eine Zigarette rauchen wollen.«
Die Kommissare lehnten an der Motorhaube von Hains Kombi. Beide schwitzten, und es war nicht klar, ob das Transpirieren der schon um diese frühe Zeit vom Himmel brennenden Sonne oder den Erlebnissen der Nacht und des Morgens anzulasten war.
»Für einmal würde ich, glaube ich, auch eine paffen«, pflichtete Hain ihm bei.
Im Haus waren zur gleichen Zeit der Polizeipsychologe Werner Aumüller und ein Arzt des mobilen Kriseninterventionsteams Nordhessen damit beschäftigt, die abwechselnd fast lautlos wimmernde und dann wieder gellend schreiende Silke Specht zu beruhigen.
»Ich weiß nicht, ob ich jetzt nochmal so eine Nummer schaffe, Paul.«
Lenz sah seinen Kollegen lang an, bevor er ihm antwortete.
»Glaub mir, das Gleiche habe ich eben auch gedacht, Thilo. Aber es hilft nichts, wir müssen zu der anderen Adresse fahren. Objektiv betrachtet haben wir uns eh schon viel zu viel Zeit gelassen.«
Der Oberkommissar schnaufte tief durch und reckte sich im Anschluss. Dann beugte er seinen Oberkörper so weit nach vorn, dass beide Handinnenflächen plan auf dem Boden auflagen.
»So was konnte ich früher auch mal«, bemerkte Lenz anerkennend.
»Das muss allerdings im vorigen Jahrtausend gewesen sein.«
Während Hain seinen Körper wieder in eine normale Position brachte, kam Werner Aumüller auf die beiden Polizisten zu.
»Sie können jetzt noch einmal kurz zu ihr rein«, eröffnete er mit in Falten gelegter Stirn. »Sie hat zugestimmt, ins Krankenhaus zu gehen. Der Rettungswagen sollte jeden Moment hier sein.«
»Wegen der Schwangerschaft?«
»Ja. Wie es aussieht, setzen die Wehen ein.«
»Was für eine Tragik«, bemerkte Lenz mit belegter Stimme.
»Da haben Sie definitiv recht«, gab Aumüller zurück. »Es ist wirklich eine Tragödie. Der eine geht, und der Nächste kommt.«
»Konnten Sie etwas für Sie tun?«
»Nicht wirklich. Ich erreiche sie einfach nicht.«
»Hat der Doc ihr etwas zur Beruhigung gegeben?«
Der Psychologe schüttelte den Kopf.
»Das Risiko will er wegen der Schwangerschaft nicht eingehen. Wir müssen versuchen, sie ohne chemische Unterstützung halbwegs zu stabilisieren.«
Die Drei gingen zurück ins Haus, wo Silke Specht in der gleichen Position wie vor dem temporären Rückzug der Kommissare auf der Couch lag und leise vor sich hin wimmerte.
»Meinen Sie, ich kann Ihnen noch ein paar Fragen stellen, Frau Specht?«, wollte Lenz leise wissen.
Sie nickte.
»Wann genau hat Ihr Mann das Haus
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