Pechstraehne
Familie, weil es dort mal wieder etwas Wichtiges zu besprechen gab. Bei denen hängt seit Monaten der Haussegen ziemlich schief, warum, weiß ich allerdings nicht. Nasif hat mit mir nicht gern über seine Familie geredet.«
»Und Sie kennen sie auch nicht?«
»Nein. Wir wollten, wie gesagt, beide nicht, dass unser Verhältnis an die große Glocke gehängt wird, das galt auch für seine Familie.«
»Bei Ihnen war das anders?«
»Ja. Ich stamme aus Dortmund, wo der größte Teil meiner Familie auch noch lebt, und hätte es nicht übers Herz gebracht, sie zu belügen.«
»Wie lang ging das mit Ihnen und Herrn Yildirim schon?«
»Seit knapp zwei Jahren.«
»Ich muss«, mischte Lenz sich wieder in das Gespräch ein, »noch einmal auf Ihre Bemerkung von vorhin zurückkommen, Frau Wiesmann. Als Sie sagten, dass Herr Yildirim sich mit den falschen Leuten angelegt hat, also mit Herrn Vontobel und dem Führungszirkel der Bank. Wie genau hat er das denn gemacht?«
Die junge Frau druckste ein wenig herum, als suche sie nach der richtigen Antwort.
»Er hat mir, wie gesagt, nicht alles erzählt. Hat gemeint, dass es besser für mich sei, nicht in alle Details eingeweiht zu sein.«
»Aber ein wenig intensiver haben Sie schon über das gesprochen, um was es ging, oder?«
Über ihr Gesicht rollten wieder ein paar Tränen, die sie abwischte, deshalb dauerte es eine Weile, bis Simone Wiesmann die passenden Worte gefunden hatte.
»Es ist alles so schrecklich«, stammelte sie schließlich schluchzend. »Ich sitze hier in der Gewissheit, dass Nasif nie mehr wiederkommen wird. Und obendrein muss ich mir auch noch Vorwürfe machen, weil ich es kommen gesehen habe. Weil ich nicht stark genug war, um ihn an diesem Unsinn zu hindern.«
Wieder sahen die Polizisten sich fragend an.
»Welchen Unsinn genau meinen Sie?«, hakte Hain nach, weil die Frau keine Anstalten mehr machte, weiterzusprechen.
»Ich weiß es doch nicht genau«, stammelte sie nach einer weiteren Pause schluchzend. »Er hat irgendetwas gegen seinen Chef in der Hand gehabt, so viel kann ich Ihnen sagen. Was das aber genau war, wollte er mir nicht verraten. Tausendmal habe ich ihn gefragt, was er wisse und was genau er vorhabe, aber er wollte einfach nicht damit herausrücken. Es ist besser für dich, wenn du es nicht weißt , hat er mir immer wieder gesagt.«
»Das klingt für mich ein bisschen wie ein Erpressungsversuch«, konstatierte der Oberkommissar vorsichtig, während er mit dem ausgestreckten rechten Arm Richtung Nebenzimmer wies. »Die Tatsache, dass hier eingebrochen und alles durchwühlt wurde, untermauert diese Vermutung zudem eindrucksvoll.«
Simone Wiesmann zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Was hat das jetzt noch für eine Bedeutung? Vielleicht haben Sie recht, und er hat wirklich versucht, die Bank zu erpressen, aber das spielt doch jetzt alles keine Rolle mehr. Er wird nicht wieder lebendig dadurch, wenn Sie wissen, was er vorhatte.«
»Aber es könnte uns helfen, die Täter dingfest zu machen, Frau Wiesmann. Es könnte uns verdammt nochmal helfen, einen Doppelmord aufzuklären.«
Aus dem ohnehin schon blassen Gesicht der Frau wich nun auch die letzte Farbe.
»Sie sind also längst davon überzeugt, dass er ermordet worden ist«, giftete sie. »Warum erzählen Sie mir dann zuerst diesen Unsinn von einem Unfall?«
»Wir waren und sind auch jetzt nicht zu 100 Prozent sicher, Frau Wiesmann«, versuchte Lenz ein wenig ihre Empörung zu bremsen. »Vieles spricht dafür, dass Nasif Yildirim und Markus Specht einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind, aber bewiesen ist es eben noch nicht. Wenn wir die Auswertung des Unfallhergangs haben, können wir mehr dazu sagen, und das meinte mein Kollege, als er von einem Doppelmord gesprochen hat.«
Simone Wiesmann war, während der Hauptkommissar gesprochen hatte, in ihrem Stuhl zusammengesackt und brach nun völlig zusammen. Tonlos schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht und holte dabei stakkatoartig Luft. Dann jedoch richtete sie sich auf und sah Lenz durchdringend in die Augen.
»Er ist umgebracht worden, davon bin ich absolut überzeugt. Und für diesen feigen Mord kommt ausschließlich die Führungsriege der Nordhessenbank infrage, allen voran unser unnahbarer, diabolischer Boss Rudolph Gieger.«
Den letzten Teil ihres Satzes hatte sie mehr gehustet als gesprochen, und doch war es für Lenz und Hain völlig klar, wem die junge Frau die Urheberschaft am Tod ihres Freundes am ehesten
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