Pechstraehne
zutraute.
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Es war mehr die Ahnung eines Geräusches als das Geräusch selbst, das den ehemaligen Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte der Deutschen Bundeswehr aus dem Schlaf holte. Norman Wachter war in seinem Leben oft aus dem Schlaf gerissen worden; während seiner Laufbahn als Soldat zum letzten Mal im Juni 2008, in einer Nacht, die sein Leben entscheidend verändert hatte.
Sein Kommandotrupp war in der Woche zuvor an der Entdeckung eines gewaltigen Waffenlagers der Taliban in Chub Bash-e Kalan beteiligt gewesen, einem Kaff in der Provinz Jowzian im Norden Afghanistans. Danach hatte es ein paar Tage zum Ausruhen gegeben und im Anschluss den Befehl, etwa 55 Kilometer westlich von Masar-e Sharif eine Bauernsiedlung zu observieren, deren Bewohner im Verdacht standen, einem hochrangigen Mitglied des Terrornetzwerks Al-Kaida Unterschlupf zu gewähren. Vier Tage hatten die vier Männer und ihr Truppführer, ein erfahrener Hauptfeldwebel, eingegraben und nahezu regungslos in einem Unterstand gekauert. Einem weiteren Trupp, der auf der gegenüberliegenden Talseite Position bezogen hatte, war es genau wie ihnen ergangen. Heiße Tage, kalte Nächte, langweiliges Starren durch das Fernrohr und die Hoffnung, dass dieser verdammte Kopftuchträger, wie der Truppführer ihn bezeichnete, endlich aufkreuzen würde, wozu es allerdings nicht kam. Was aber auftauchte, war ein Schafhirte mit seiner Herde, der nach einigen Stunden des langsamen Näherkommens schließlich das Versteck der Soldaten entdeckte, vom Kommandanten überwältigt und in den improvisierten Unterstand gezerrt worden war. Positiv anzumerken gab es, dass die ganze Aktion keinen großen Lärm verursacht hatte. Auf der anderen Seite hatten sie einen Mann bei sich, der garantiert die Bauern unten im Dorf darüber informieren würde, was er zu sehen bekommen hatte.
Wir müssen ihn ausschalten , hatte der Hauptfeldwebel gezischt, der den wimmernden Mann mit der Pistole an dessen Hinterkopf in den Staub presste.
Das können wir nicht machen, Werner , hatte einer seiner Kollegen flüsternd geantwortet. Das wäre Mord.
Im Anschluss hatte sich eine heftige Diskussion entwickelt, ob der Hirte denn nun zu liquidieren sei oder nicht. Die vier Soldaten des Trupps hatten sich so vehement dagegen ausgesprochen, dass der Unteroffizier tatsächlich unschlüssig wurde. Klar wussten alle, dass die amerikanischen Kommandoeinheiten in vergleichbaren Situationen nicht eine Sekunde gezögert hätten, doch sie waren keine Amerikaner. Sie waren deutsche Soldaten, denen das Leben eines Zivilisten nicht so einfach am Arsch vorbeiging. Trotzdem steckten sie in einem mächtigen Schlamassel, denn die nun herrenlosen Ziegen des Mannes, etwa 30 an der Zahl, streunten in alle Richtungen davon, und es war nur eine Frage der Zeit, bis ein aufmerksamer Beobachter sich fragen würde, warum das so war.
Wenn wir ihn nicht ausschalten, müssen wir unseren Posten räumen, und das wird garantiert jede Menge Ärger nach sich ziehen, Männer , hatte der Hauptfeldwebel genervt zu bedenken gegeben und dabei den Schalldämpfer seiner Waffe aus der Brusttasche gezogen.
Das ist mir scheißegal , hatte Wachter sich nach anfänglichem Schweigen schließlich zu Wort gemeldet. Wir werden dieses arme Schwein hier nicht einfach abknallen, das können wir nicht machen.
In diesem Moment war das Leben des Ziegenhirten, auf dessen weiter Hose sich deutlich ein dunkler Fleck abzeichnete, eigentlich so gut wie gerettet, denn das Wort des Waffenspezialisten hatte innerhalb seines Kommandotrupps Gewicht, auch wenn er vom Dienstgrad natürlich unter dem Hauptfeldwebel stand. Doch manchmal entscheiden Zufälle über Leben und Tod, und manchmal ist es, so wie in diesem Fall, auch nur Unachtsamkeit. Denn im gleichen Augenblick, in dem der Kommandeur des Trupps kopfschüttelnd die Waffe vom Hinterkopf des total verängstigten Afghanen hob, löste sich ein Schuss. Ein krachender, die friedliche Stille zerfetzender, für den Ziegenhirten absolut tödlicher Schuss, der so überraschend kam, dass selbst die vier Angehörigen der Spezialeinheit, die nun wirklich mit dem Gebrauch und den Geräuschen von Schusswaffen vertraut waren, erschreckt zusammenzuckten. Der Knall rollte durch das enge Tal, wurde auf der gegenüberliegenden Seite reflektiert, und war keine zwei Sekunden später wieder bei den Männern angekommen, zusammen mit lauten Schreien aus dem Dorf, das sie überwacht hatten. Dort stürmten augenblicklich
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