Pechvogel
dir schon auf die Sprünge«, sagte Gabi mit einem Lächeln.
Richard hatte sich nach dem Kinoabend geschworen, mit Gabi keine Diskussionen mehr anzufangen. Entweder boxte sie ihr Recht durch, was meistens nichts mit Recht zu tun hatte, oder sie stand einfach auf und ging, wenn ihr die Argumente fehlten. Und das war ziemlich oft. Darauf hatte er endgültig keine Lust mehr. Er hatte noch nie große Lust auf Gabi gehabt, er war in die Ecke gedrängt worden und wollte Kavalier bleiben. Wo war er damit hingekommen? Er führte den Beziehungsladenhüter, den er von Anfang an vermutet hatte.
Die Aufzugstür öffnete sich.
Richard hatte sich wieder in Schale geworfen. Eine dunkle Jeans, ein weißes Hemd und ein schwarzes Sakko, dazu passende Schuhe. Nachdem er in seinem Fiat-Cinquecento-Flur einen letzten Blick in den Spiegel geworfen hatte, kam er zu dem Urteil, dass er heute ganz und gar nicht scheiße aussah. Heute war ein guter Tag.
Gabi trug eine anthrazitfarbene Stoffhose, die ihre beiden Pohälften (jede für sich) deutlich zur Geltung brachte und auch ihre vordere Mittelansicht dominant in Szene setzte. Dazu hatte sie eine rote Bluse kombiniert, die oberen drei Knöpfe offen. Die Spitze ihres BHs blitzte hervor, ihr Busen nicht weniger. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden.
Gabi trug das erste Mal hohe Schuhe, seit Richard sie kannte. Ihre Bewegungen glichen dem eines Pinguinweibchens, das immer wieder auf dem Eis wegrutscht.
Gabi steckte ihren Schlüssel ins Schloss und sie traten ein.
»Mami, Papi, wir sind da.«
»Muss ich die Schuhe ausziehen?«, fragte Richard.
»Musst du nicht. Mami putzt das schon weg.«
Die arme Mutter, dachte Richard.
»Aber das ist okay, wenn …«
»Nein! Ich lasse meine Schuhe auch an. Habe sie mir extra gekauft. Und ich will hier nicht die Einzige sein, die Schuhe anhat.«
»Schon gut, ich lasse sie an.«
Die Wohnung hatte einen ähnlichen Schnitt wie die von Richard, nur war sie fast doppelt so groß. Geradeaus sah Richard schon die Eiche-rustikal-Schrankwand aufblitzen. Auf der einen Seite des Flurs waren wohl das Schlafzimmer von Gabis Eltern und Gabis Zimmer, auf der anderen die Küche und das Bad.
Dass er die Schrankwand aufblitzen sah, war aber reines Glück, zwischen dem stehenden Qualm. Er dachte, gerade einen Industrieschornstein betreten zu haben und hustete auch gleich.
»Rauchen deine Eltern auch?«, fragte er. »Davon hast du mir gar nichts gesagt.«
»Das ist toll, oder?«
»Wie man’s nimmt. Die Tabakindustrie ist sicher glücklich darüber, die Krankenkassen eher weniger.«
»Was soll das denn jetzt? Sag das bloß nicht vor meinen Eltern.«
»Wo denkst du hin«, sagte er und hustete erneut.
Das wird ein ganz toller Abend, das wusste Richard jetzt schon. Nach geschlagenen dreißig Sekunden.
»Hallo, ihr Lieben«, sagte Gabis Mutter, als sie aus der Küche trat. In der einen Hand einen Teller, in der anderen eine Zigarette.
Richard wurde gerade vor Augen geführt, wie Gabi in zwanzig Jahren oder noch früher aussehen würde. Empire-State-Building-hohe-auftoupierte-Haare, glänzende, speckige Gesichtshaut, gemalte Augenbrauen, stechende Augen, dreifaches Doppelkinn, der Busen größer als derjenige der Tochter, dieser lag auf ihrem großen Bauch auf. Die Beine kurz. Gabis Mutter trug ein mit floralen Mustern bedrucktes Kleid.
Richard dachte, dass auch kleidungstechnisch die Tochter ganz nach der Mutter kommen würde. Dann hustete er schon wieder.
»Ist dein Freund krank?«, fragte Gabis Mutter streng.
»Nein, nur Nichtraucher.«
»Der gewöhnt sich schon dran«, sagte die Mutter. »Nicht wahr, junger Mann.«
Richard hustete immer noch, streckte eine Hand nach oben, als Zeichen der Entschuldigung und dass er gleich antworten würde.
»Ja, sicher doch«, sagte er krächzend.
Gabis Vater trat aus dem Wohnzimmer in die Diele.
»Hallo, junger Mann«, sagte Gabis Vater. In der einen Hand die Fernbedienung, in der anderen eine Zigarette.
Gabis Vaters Aussehen kam der einer vertrockneten Mumie gleich. Kurze, graue Haare, hohe Stirn, buschige Augenbrauen, eingefallene Wangen, kaum erkennbare Lippen, einen Krähenhals, der Oberkörper ausgezerrt, die Beine bleistiftdünn. Er trug eine graue Stoffhose und ein blaues Hemd.
Gabis Vater ging auf Richard zu und reichte ihm die Hand. »Gefällt es Ihnen bei uns, junger Mann?«
»Bis jetzt konnte ich nur einen kurzen Blick in die Küche werfen.«
Neben der stand Richard mittlerweile. Eine
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