Pechvogel
Frisch und modern, waren Gabis Worte, sollte ihr neues Zimmer möbliert sein. Nachdem Richard auf guten Geschmack Wert legte, war er schon sehr gespannt.
»Ich würde halt gerne sehen, wie DU lebst«, sagte er.
»Gut, okay, sonst lässt du mich damit ja doch nicht in Ruhe.«
Gabi nahm Richard bei der Hand und zog ihn vor eine der verschlossenen Türen im Flur. Sie drückte die Klinke nach unten und machte im Zimmer Licht.
In Gabis Zimmer standen ein einfaches Holzbett, ein einfacher zweitüriger Schrank und eine einfache Kommode mit vier Schüben und zwei Türen, darüber ein einfacher kleiner Spiegel. Eine Gefängniszelle für Häftlinge des offenen Vollzugs hatte mehr Flair.
Wo war das Frische und Moderne?, dachte Richard. Wo waren die neuen Möbel?
»Das ist also dein Reich, und das sind deine neuen Möbel?«
»Sieht richtig toll aus, was«, schwärmte Gabi.
Richard pustete einmal kräftig durch.
»Habe ich mir alles selbst ausgesucht, obwohl Papi und Mami dabei waren.«
»Denen hat deine Auswahl sicher sehr gut gefallen.«
»Ja, natürlich. Meine Eltern haben genauso viel Stil wie ich«, sagte Gabi mit stolzer Brust.
»Ja, wahrlich. Ihr liegt so richtig auf einer Welle.«
»Schön, dass du das erkennst. Ich wusste doch, dass du uns alle drei lieben wirst.«
Richard musste wieder stark husten.
»Was?«
Er hustete weiter. »Der Qualm, Gabi, nur der Qualm.«
»Du liebst uns doch alle drei?«
»Ja klar«, sagte Richard, »ihr seid alle zum Auffressen.«
Richard dachte, dass er schnell bei Walt Disney anrufen und fragen müsse, ob er sich eines der Monster aus Fluch der Karibik ausleihen könne. Es würde hier in München dringend benötigt werden.
»Du bist toll Richard«, sagte Gabi und gab ihm einen saugenden Kuss auf seine Wange. »Und nun lass uns die Geschenke auspacken. Ich bin schon so gespannt, was du zu meinem sagen wirst.«
Richard war darauf nicht weit weniger gespannt.
Vater Fleischmann saß in seinem Sessel. Richard saß zwischen Mutter und Tochter Fleischmann auf der Garnitur. Gabis Mutter verbreitete einen ganz eigenen Geruchscocktail. Darin enthalten waren kalter Rauch, fettiges Essen und die Mischung aus frischem und getrocknetem Schweiß.
Das Auspacken der Geschenke begann.
Vater Fleischmann hatte von seiner Tochter einen neuen Aschenbecher bekommen, von seiner Frau zwei weiße Unterhosen und ein paar Socken.
Mutter Fleischmann hatte von ihrer Tochter einen Gutschein für Aldi bekommen, damit sie Waschmittel kaufen konnte und ein Messerset für die Küche, damit sie weiter schön gut kochen konnte. Von ihrem Mann bekam sie hautfarbene Unterwäsche.
Vater und Mutter Fleischmann schenkten ihrer Tochter einen Gutschein für Deichmann, damit sie weiter so schöne Schuhe kaufen konnte, wie sie das bisher tat, und einen Lottoschein mit einem angekreuzten Kästchen für die nächste Samstagsziehung.
Während diese Geschenke gereicht, ausgepackt wurden und darüber gesprochen wurde, hatten die Fleischmanns zusammen fast eine weitere Schachtel Zigaretten aufgebraucht.
Nun war Richard an der Reihe, seine Geschenke zu reichen. Gabi gab ihm seine Tasche.
»Zuerst für die Dame des Heims«, sagte Richard und gab Mutter Fleischmann ihr Päckchen.
Sie bedankte sich. »Was wird das sein?«, fragte sie mit einem dezenten Lächeln.
Richard war verwundert. Das erkannte man doch schon, auch wenn es noch eingepackt war.
Sie riss das Päckchen eilig auf.
Es war das neueste Parfüm von Chanel. Richard hatte es bei seiner besten Freundin Sandra gekauft. Sie hatte gesagt, wenn du damit keinen Eindruck schindest, dann mit überhaupt nichts. Der 100-ml-Flakon hatte neunzig Euro gekostet. Aber das war es Richard Wert. Gabis Mutter sollte sehen, wie wichtig es ihm war, ihr eine hochwertige Freude zu machen.
Mutter Fleischmann sah Richard an. Ihr Geruchscocktail zog noch mehr in seine Nase.
»Denken Sie, dass ich stinke, junger Mann?«, fragte sie mit gereizter Stimme und zog ihre gemalten Augenbrauen zusammen.
»Ähm, natürlich nicht«, sagte Richard verschreckt.
Gabi durchbohrte Richard mit ihren fiesen kleinen Augen.
»Und warum schenken sie mir dann ein Parfüm?«
Auf solch eine Frage war Richard nicht gefasst. »Ich finde, es ist ein anerkennendes Geschenk für eine Frau.«
»Anerkennend? Was erlauben Sie sich, junger Mann. Erkennen Sie an, dass ich stinke?«, fragte sie erbost.
Richard gestikulierte entschuldigend mit den Händen. »Nein, nein.«
Zum Beweis hob Mutter Fleischmann
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