Pechvogel
Küchenzeile in einem hellgrünen Ton mit schwarzen Applikationen und einer roten Arbeitsplatte stand darin.
»Dann kommen Sie mal mit, junger Mann, ich zeige Ihnen das Wohnzimmer. Dort steht auch unser Christbaum.«
Richard war schon sehr auf den Christbaum gespannt. Gabi hatte so davon geschwärmt. Er wäre so toll und so schön geschmückt. Leider konnte Richard bei sich keinen Baum aufstellen, seine Wohnung war zu klein. Er liebte große und schön geschmückte Christbäume. Die Tradition, ihn zu schmücken, davor auf dem Boden zu sitzen und Geschenke auszupacken, wunderbar. Seine Eltern hatten seit seinem Auszug leider auch keinen prunkvollen Christbaum mehr. Nur noch einen knapp einen Meter fünfzig hohen Baum.
»Klein und fein«, sagte seine Mutter dann immer, wenn Richard mit strahlenden Augen davorstand.
Deshalb hatte er sich trotz aller Umstände auch auf diesen Abend gefreut, wegen des großen und prunkvoll geschmückten Christbaums, von dem Gabi so geschwärmt hatte.
»Sie hatten jedes Jahr so einen. Seit ich denken kann«, sagte Gabi damals glücklich.
Richard folgte Gabis Vater.
»Das ist unser Wohnzimmer, junger Mann.«
Richard hustete wieder.
Gabi hatte immer betont, welch guten Geschmack ihre Eltern hätten. Als er den Eiche-rustikal-Wohnzimmerschrank zwischen dem Qualm schemenartig sah und auch die Küche, kamen Richard schon gehörige Zweifel. Nun sah er das Wohnzimmer in seiner vollen, verqualmten Pracht.
Die Polstergarnitur mit Rundecke und Sessel sahen zwar neu aus, aber das Muster war noch schlimmer als das seines Müllsofas. Grün. Braun. Blau. Rot. Türkis. Flieder. Sand. Und noch weitere Farbspritzer. Der Holztisch davor passte zur Schrankwand. In der Schrankwand befanden sich eine Menge Nippes und ein Fernseher von einem Discounter. Unter dem Fernseher waren zwei kleine Türchen, wo wohl der Satellitenreceiver und der DVD-Player untergebracht waren. Richard konnte im Regal auch die eine DVD erkennen, mit dem französischen Arthausfilm. Er hatte ihn zusammen mit Gabi bei sich angucken dürfen. Neidlos musste er danach anerkennen, dass er in der gleichen Liga spielte wie Drei Jahre in Island .
Richard musste sich ablenken. »Ähm, ich dachte, Sie haben ihren Christbaum schon aufgebaut.«
Heute war ja schließlich Heilig Abend, dachte Richard. Wann wollten die den Baum denn aufstellen? Nach Weihnachten?
Gabis Vater trat zur Seite und da sah Richard den Christbaum-Super-Gau. Ein vierzig Zentimeter hohes Kunststoffbäumchen mit Minikugeln und Plastiklametta daran, und – nicht versteckt – das Kabel, das zur Steckdose führte und den Baum diffuses Licht spenden ließ. Der weihnachtliche Exportschlager aus China.
Gabi trat hinter Richard und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Und, wie gefällt dir unser Wohnzimmer und vor allem unser toller Baum mit dem schönen Schmuck, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.«
»Mir fehlen die Worte«, sagte Richard.
»Wusste ich’s doch«, sagte Gabi, »dass es dir gefällt. Ich kenne dich und deinen Geschmack durch und durch, Richard.«
Vom guten Geschmack war die Einrichtung der Fleischmanns so weit entfernt wie die Ameise vom Nashorn, dachte Richard. Und Gabi hatte den Baum so großartig groß beschrieben, aber nie erwähnt, dass es sich dabei um ein Miniplastikbäumchen von Aldi handelte, das es dort in den 90igern für neun Mark neunzig zu kaufen gab.
»Ich gehe wieder in die Küche und helfe Mami beim Essen machen. Es ist gleich soweit«, sagte Gabi und ließ Richard allein.
»Setzen Sie sich, junger Mann«, sagte Gabis Vater.
Er stellte sich Richard nicht weiter vor, genauso wenig Gabis Mutter.
Richard setzte sich auf die Polstergarnitur, Gabis Vater in den Sessel davor.
»Sie dürfen gerne Richard zu mir sagen«, sagte er mit immer rauerer Stimme.
Richard wusste nicht, ob er das den ganzen Abend aushalten würde. Wenn, dann musste er nach diesem Abend wegen Rauchvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden.
»Nein, nein, so nicht, junger Mann.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Richard freundlich.
»Sie sind der junge Mann von Gabi. Bis ich Sie beim Vornamen nenne, da muss noch viel passieren. Wir haben in unserem Heim klare Vorschriften, daran müssen auch Sie sich halten«, sagte Gabis Vater mit versteinerter Miene.
Richard überlegte sich in diesem Moment ernsthaft, durch das geschlossene Fenster zu springen. Er würde gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er würde endlich wieder frische Luft atmen
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