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Pechvogel

Pechvogel

Titel: Pechvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Fuchs
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können, und der Abend würde ein schnelles und spektakuläres Ende nehmen.
    »Gabi hat erzählt, dass Sie in der Psychiatrie arbeiten«, sagte Richard, um das Thema zu wechseln.
    »Denken Sie, junger Mann, dass ich bekloppt bin?«
    »Nein, selbstverständlich nicht.«
    »Das will ich Ihnen aber auch geraten haben«, sagte er mit erhobenem Zeigefinger. »Den Vorstand des Heims zu beleidigen, würde Sie in eine sehr ernste Lage bringen. Sehr ernst! Wissen Sie, dass ich in der Jugend Dritter bei den bayerischen Meisterschaften im Ringen war.«
    »Nein, diese große sportliche Leistung ihres Vaters hat mir Gabi bisher verschwiegen.«
    »Ich will Sie nur darauf hingewiesen haben, junger Mann«, sagte Gabis Vater und hustete schwer.
    Richard zählte die Zigarettenschachteln auf dem Tisch. Neun Stück, sechs davon leer. Wenn die ganze Familie qualmte, wie ein Atommeiler Rauch ausstößt, kein Wunder.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Richard und hustete ebenfalls. »Soll ich das Fenster öffnen?«
    »Nein, lassen Sie das bloß sein. Hier wird überhaupt nichts geöffnet, bevor ich es nicht sage. Und ich liebe meinen Zigarettengeruch.«
    »Aber …«
    »Was aber?«, fragte Gabis Vater bedrohlich.
    »Und, unterhaltet Ihr euch gut?«, fragte Gabi im Türstock stehend.
    »Ausgezeichnet«, sagte Richard. »Dein Vater ist sehr zuvorkommend.«
    Gabis Vater sah ihn mit einem niederschmetternden Blick an.
    »So ist mein Papi«, sagte Gabi, ging zu ihm und streichelte ihn durch die Haare und über das Gesicht. »Ein Gentleman alter Schule. Er weiß, wie man mit Menschen umgehen muss. Mein Papi ist einfach ein Traum.«
    Gabis Vater rieb sein Gesicht wie ein Hund, der gerade seine Streicheleinheiten bekommt, an Gabis Hand.
    Richard kam sich vor wie in einem schlechten Film, und er spielte die Hauptrolle.
    »Das Essen ist fertig«, schrie Gabis Mutter aus der Küche. »Sofort alle kommen!«
    Es ist kein Film, dachte Richard. Es ist Realität. Er sehnte sich nun fast schon zu Drei Jahre in Island zurück.
    »Komm Richard, lass uns in die Küche gehen«, sagte Gabi.
    Es gab eine Ente mit Rotkohl und Unmengen Kartoffeln, dazu eine dickflüssige, dunkle Sahnesoße. Als Nachtisch eine fette Creme, die nach Kirschen schmeckte und als Nach-Nachtisch sieben Kugeln gemischtes Eis mit kochend heißen Himbeeren. Für Richard gab es als Zugabe von jedem fünf Zigaretten, also den Rauch für Richard, die Zigaretten für die Familie Fleischmann.
    Richard war danach so schlecht, weil er zu keinem Gang nein sagen wollte, obwohl ihm das Stück Ente schon gereicht hätte. Wenn er jetzt zur Toilette gegangen wäre, hätte er sich wahrscheinlich eine halbe Stunde übergeben müssen.
    Während des Essens erfuhr Richard von Gabis Mutter, wie sie den Tag verbrachte. Mit Fernsehen und Haushalt. Damit ihre Tochter auch alles hatte und nichts tun musste. Sie wäre ja ein so viel beschäftigtes Kind, und nun auch noch eine Beziehung, die sei ja auch anstrengend. Sie müsse Gabi entlasten, wo es nur ginge.
    Gabis Mutter fragte Richard etwas über seine Hobbys aus. Sie hatte daran das gleiche Interesse wie ihre Tochter. Und dann stellte sie ihm noch folgende Frage: »Sie verdienen Ihr Geld also mit dem Tod anderer?«
    Richard hätte das differenzieren können, er war schließlich kein Killer, aber er beantwortete die Frage nur mit: »So ungefähr.«
    Vater Fleischmann blieb stumm und sah Richard mit einem finsteren Blick an, weit finsterer als der von Sauron aus Herr der Ringe .
    Diese Familie hat sich gefunden, dachte Richard. Und er musste hier sofort weg. Natürlich ging das nicht, es war Heilig Abend. Da geht man nicht einfach.
    »Jetzt gibt es Geschenke«, sagte Gabi und stand vom Küchentisch auf. »Lasst uns ins Wohnzimmer gehen und Bescherung feiern.«
    »Das machen wir«, sagte Gabis Mutter.
    »Dein Freund bekommt von mir nichts«, sagte Gabis Vater. »Er gehört noch nicht zur Familie.«
    Richard dankte Gott dafür. Er würde lieber einmal durch einen brodelnden Vulkan schwimmen, bevor das geschah.
    »Das macht doch nichts«, sagte Richard.
    Richard stand auf und zog sein Sakko aus. Es war tierisch heiß, mitten im Zigarettenrauch. Er folgte Gabi.
    »Du hast mir dein Zimmer noch gar nicht gezeigt«, sagte Richard zu Gabi.
    »Damit liegst du mir ja schon seit Monaten in den Ohren«, sagte sie.
    Daran war Gabi nicht ganz unschuldig. Sie hatte ihm erzählt, dass sie sich kürzlich komplett neu eingerichtet hatte. Alles in einem großen Möbelhaus gekauft.

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