Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
keiner im Süden. Er liebt Landschaft, Leute und die saubere Luft hier in der Toskana. Seit 20 Jahren fährt er auf dieser Strecke und dementsprechend auch in die unübersichtlichen, endlosen Kurven ohne Rücksicht auf Verluste und unsere Magennerven. Nein, mir wird nicht schlecht. Nach 40 Minuten und der gesamten Lebensgeschichte des Neapolitaners haben wir sie erreicht, diese letzte Kurve, in der eine kleine Straße direkt zum Kloster abbiegt. Endstation für unseren spannenden Bustrip. Rucksäcke umgeschnallt, noch ein Schälchen Wasser, und wir laufen wieder – auf einer steingepflasterten, alten Straße auf das Felsenkloster zu.
Meiner Pfote hat das Autobus-Pilgern gut getan, unserer Stimmung auch. Traumhaftes Mittagslicht. Die Straße wird zur engen Gasse. Links an der Hauswand in einer Mauernische ein grelles, altes Mosaik: Aus bunten Keramikscherben ist Franz von Assisi in Lebensgröße abgebildet. Den Blick zum Himmel gerichtet, wo in leuchtenden, satten Gelb- und Orangetönen die Sonne strahlt. Es soll wohl die Szene seines berühmten „Sonnengesanges“ stilisieren. Natürlich muss hier ein Foto geschossen werden. Verstohlene Blicke meiner Begleiter … Sie sind sich nicht ganz sicher, ob wir uns nicht auch schon auf dem berühmten Kreuzweg von La Verna befinden. Ein Hund vor dem Bildnis eines Heiligen und das in La Verna, das könnte so mancher als blasphemisch auffassen. Schon stehe ich oben auf dem Mauersims unter dem Mosaik. Das plastische Bildnis gewinnt noch an Leben, ich bin ein Teil davon, verschmelze mit dem Schutzheiligen der Tiere. Plötzlich biegt ein kläffendes Etwas ums Eck, Terriermischling. Da kann Frauchen oder Herrchen nicht weit sein. Das Foto ist schnell im Kasten und ich wieder auf Gassenniveau.
Durch einen dichten Buchen- und Birkenhain wandern wir auf holprigem Kopfsteinpflaster bergauf. Links und rechts die alte Mauer, teilweise verfallen, andernorts in Renovierung begriffen. Es ist ruhig. Und dann, zwischen den Bäumen, taucht er auf, der alles überrragende Felspfeiler, auf dem wie hineingemeißelt das mächtige Kloster thront. Beinahe wie ein griechisches Felsenkloster gleich dem Berg Athos mutet das Bauwerk hier mitten in der Toskana an. Es ragt empor aus den satten grünen Wiesen. Es dominiert den bewaldeten steilen Hang hinauf zum Gipfel des Monte Penna. Landschaft und Zeit sind hier stehen geblieben. Das Szenario hat sich wohl kaum verändert seit den letzten 800 Jahren, jener Zeit, als Franziskus sich hier von dem weltlichen Leben zurückzog und die ursprünglich kleine Einsiedelei gründete. Rauf auf die brüchige Mauer. Pecorino im Vordergrund, La Verna als bombastische Kulisse im Hintergrund.
La Verna wird immer schon als heiligster und zugleich rätselhaftester Ort der Franziskaner beschrieben. Dort drüben auf der Wiese könnte es gewesen sein, dass der Wandermönch im Kreise seiner verwunderten Mitbrüder seine legendäre Vogelpredigt gehalten hat. Franziskus hat sich wohl als erster Mensch öffentlich mit Naturschutz und grünem Gedankengut beschäftigt. Seither ist er unser Schutzheiliger, der Schutzheilige aller Tiere. Er war ein kluger, weiser Mann und fest davon überzeugt, dass nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanzen, Vögel, Hunde und alle Tiere beseelt sind. Wie Recht er doch hatte.
Man ist Franziskus, seinem Gedankengut und der Natur hier etwas näher – nicht nur aus der Hundeperspektive. Das fällt mir auch auf, wenn ich die Gesichter meiner beiden Mitpilger betrachte. Ihr Ausdruck wechselt zwischen Begeisterung über den beeindruckenden Ausblick und stillem Staunen über die Mystik des Ortes. Beinahe andächtig wandern wir weiter über den steilen, gepflasterten Pfad bergauf zur Klosterpforte. Geschätzte 25 Prozent dürfte die Steigung betragen. Die Sonne brennt durch die dichten Baumwipfel, der Schweiß tropft von den Menschenstirnen, meine Zunge wird lang und länger. Noch eine Biegung und gute 100 Meter, und wir haben es geschafft. Genau in diesem Moment tönt es wieder sehr kärntnerisch um die Kurve: „Da Pecorino!“ Ja, meine Klagenfurter Fans aus dem Ristorante sind ebenfalls gerade beim Erklimmen des heiligen Berges. Kurzes Verschnaufen, ein Foto am steilen Weg und weiter geht’s.
Es ist merklich kühler hier oben, zumindest auf der Schattenseite. Groß ist die Freude über die gelungene Kletterpartie. Ebenso groß die Enttäuschung über ein unübersehbares Schild direkt vor dem Haupttor: In der Art eines riesigen Comics und somit
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