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Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg

Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg

Titel: Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz , Claudio Honsal
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auch deswegen hat diese Region in den vergangenen Jahren bei Wanderern und Trekking-Fans zunehmend an Beliebtheit gewonnen, geradezu einen Touristen-Boom erfahren. Ein sanfter, ökologischer Tourismus im Gegensatz zu anderen, höheren Alpenregionen. Sind es die strengen Gesetze der umliegenden Nationalparks oder der Geist des heiligen Franziskus, des ersten Grünen der Geschichte? Ein Naturparadies.
    Obwohl am Himmel kein Wölkchen zu sehen ist, hat sich der heftige Wind mittlerweile zum veritablen Sturm entwickelt. Die Bäume rauschen beängstigend. Meine Ohren wehen, als ich auf einem schmalen Grat für ein Foto posiere. Zwar stehe ich auf toskanischem Boden, aber hinter mir das ganze Panorama der Emilia Romagna. Und direkt unter mir eine Felswand, ein brutaler Abgrund, der gute 500 Meter kerzengerade abstürzt. Leichte Nervosität lässt sich beim offensichtlich nicht ganz schwindelfreien Autor ausmachen. „Pass auf, dass der Hund nicht hinuntergeweht wird!“, tönt es forsch, aber doch etwas ängstlich aus sicherer Entfernung zu uns herüber. Ist es wirklich die Sorge um mich oder doch eher um das Zustandekommen dieser Geschichte? Egal wie man es betrachtet, ha, da steh ich nun wieder in meiner Lieblingsposition, dem Mittelpunkt.
    Trotz der vielen überwundenen Höhenmeter scheinen wir heute einen regelrechten Höhenflug zu haben, zumindest was die Kilometerleistung anlangt. Keine Blase, kein verstauchter Knöchel und weder Hunger noch Durst können unseren Vorwärtsdrang bremsen. Die Herren sind motiviert und unerbittlich. Mich fragt ja keiner. Nur noch ein halber Kilometer bis zur berühmten Einsiedelei, dem Eremo di Camaldoli. Steil bergab, schluchtartig stürzt der Weg hin auf eine Lichtung, wo die Einsiedelei liegt. Hier hat Franz von Assisi einst immer wieder inne gehalten. Hier leben heute noch Eremiten und Mönche wie vor Hunderten von Jahren. „Rispettate questi luoghi di silenzio e preghiera“, steht auf alten Holztafeln an den Steinmauern rund um den befestigten Rückzugsort geschrieben. Es herrscht absolute, ja mystische Stille. Wir nähern uns der Eremitage von der Rückseite. Ein ganz anderes Bild bietet sich da beim Haupteingang der Franziskuspilgerstätte. Direkt vor der noch verschlossenen Pforte parken unzählige Autos. Biker suchen auf der Schattenseite der Mauern Zuflucht. Der kunstvolle Brunnen neben der Hauptpforte ist von Wanderern und Pilgern bevölkert. Wasserflaschen werden aufgefüllt. Wortfetzen in den verschiedensten Sprachen. Alle warten sie auf die Öffnung der Pforte zur Eremitage. Es ist kurz nach zwei Uhr. Die Sonne brennt auf den asphaltierten Platz. Gegenüber, im Schatten der Bäume zwischen stinkenden Motorrädern und lärmenden Touristen, finden wir ein Fleckchen zum Ausruhen. Die Rucksäcke fliegen geradezu auf den Boden. Ich will nur trinken und schlafen, die Reihenfolge scheint mir schon einerlei. Toni tankt ebenfalls seine Wasserflaschen am Brunnen auf. Ich bekomme endlich das ersehnte Nass. Im Dämmerschlaf höre ich noch, dass die Tore um drei Uhr geöffnet werden. Eine Dreiviertelstunde ausruhen. Wie fein.
    Ich werde bewundert von einem deutschen Bikerpärchen aus Garmisch, das den Weg vom Dorf Camaldoli heraufgeradelt ist. Eine japanische Touristin findet mich süß und beginnt mich in den Schlaf zu streicheln. Angenehm und erholsam ist es hier im Schatten. Neben dem Eingang befindet sich die berühmte Apotheke der Einsiedelei. Ausschließlich Naturprodukte und Homöopathisches, erzeugt nach jahrhundertealten Rezepturen, werden hier angeboten. Abgesehen von den Blasenpflastern und Stützverbänden für ramponierte Pilger, versteht sich. Camaldoli ist eine der ältesten Einsiedeleien Europas, gegründet von San Romualdo in den frühen Jahren des 11. Jahrhunderts. Kaum etwas hat sich verändert seit damals. Immer noch vertiefen sich hier die Mönche und Nonnen nach den alten Ritualen ins Gebet, ziehen sich zurück in die Stille der Klosterkirche und der primitiven Steinhütten. Nur jeden Tag gegen 15 Uhr wird es etwas lauter am geweihten Ort. Die Kameras klicken, und jeder einzelne der Pilgertouristen versucht, das beste Motiv von den scheuen Einsiedlern zu bekommen.
    Ein Schauspiel, das mir entgehen sollte. Denn direkt beim Eingang zur sakralen Attraktion prangt auf einem roten Postkasten das Verbotsschild „
Noi, non possiamo entrare!
“ mit dem Konterfei eines neutralen, hechelnden Hundes. Das kann doch nicht ganz im Sinne des heiligen Franz gewesen sein.

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