Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
lässt das in der Nähe so mächtige Felsenkloster La Verna aus der Ferne zum Puppenhaus mutieren. „Buon giorno!“, tönt plötzlich aus dem Nichts der mit latschenähnlichem Gestrüpp bewachsenen riesigen Lichtung eine Stimme. Ein älterer Herr durchsucht die karge Vegetation mit einem Stock.
Funghi
! Ja, auch um diese Jahreszeit wachsen hier Pilze. Diesmal gibt es kein Foto. Zu unspektakulär. Aber es ist ja nicht mehr weit zur nächsten Einsiedelei.
Trotz einer Höhe von 1200 Metern ü.d.M. hat es gefühlte 35 Grad. Die atmungsaktiven, hochprofessionellen Microfaser-Wander-T-Shirts meiner Begleiter haben sich längst schweißdunkel verfärbt, meine Zunge berührt zeitweise den sandigen Boden. Endlich, die Einsiedelei Eremo della Casella. Nicht wie gewöhnlich in einer tiefen unwegsamen Schlucht mitten im Wald, sondern auf einer hellen Lichtung direkt am Bergrücken, eingesäumt von einigen uralten Obstbäumen, wartet der Steinbau auf die wenigen Besucher. Gleich daneben am höchsten Punkt ein riesiges, verwittertes Holzkreuz. Doch noch mehr beeindrucken uns müde Wanderer ein alter, knorriger Holztisch und zwei windschiefe Bänke zur lang ersehnten Rast. Die Rucksäcke fliegen geradezu auf den Boden, und selbst des nassen Oberhemdes entledigt sich mein Herrchen diesmal. Sieht ja keiner. It’s showtime. Im Inneren des Steinbaus ein Altar mit einer Holzfigur des heiligen Franziskus. Obwohl unbewohnt, muss die Einsiedelei regelmäßig besucht und gepflegt werden, denn auf dem Granitboden brennen in Kreuzform angeordnete Kerzen. Mystisches Dämmerlicht. Ich soll mich nun direkt neben diesem flammenden Kerzenkreuz platzieren. Zweifel kommen auf. Entweihen wir die Wirkungsstätte des Franziskus? Dem kurzen Nachdenken folgt ein wesentlich längeres Belichten. Die Sensation muss der Ehrfurcht weichen, Franz mag uns verzeihen, schließlich ist er ja der Schutzheilige der Tiere.
Gestärkt, ausgeruht und zufrieden ziehen wir nach über zwei Stunden weiter. Bergab, nur noch bergab, denn kein Höhenzug, kein Hügel liegt zwischen uns und Caprese – auf einer Höhe von nur noch 653 Metern ü.d.M. Die treibende Schwerkraft lässt uns das Gehen leicht fallen. Schnell sind wir am Ziel der heutigen Etappe. Bis 1903 wäre man noch nach Caprese hinuntergegangen. Dann hatte der König per Erlass verfügt, dass der 1600-Seelen-Ort auch den Beinamen seines berühmten Sohnes tragen sollte: Michelangelo. Heute ist der Ortsname Programm. Kaum ein Fleckchen, wo man nicht mit dem Bildhauer, Maler, Architekten und Dichter Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni konfrontiert wird. Das späte Nachmittagslicht ist gut, so wandern wir hinauf auf eine Anhöhe, von der man die ganze Ortschaft überblicken kann. Dort liegt das Geburtshaus des wohl bedeutendsten Künstlers der italienischen Hochrenaissance, heute Museum. Der Cammino di Assisi wird in Caprese kurzfristig zum Cammino Michelangionolo, zur Pilgerstätte aller Feingeister der Welt. Ob David, Moses oder die Pietà, der Duft der gewaltigen Marmorkunstwerke liegt hier förmlich in der Luft, obwohl sich der Meister nicht in seiner Heimatstadt, sondern zwischen Florenz, Bologna und Rom an das Behauen der monströsen Rohlinge machte.
Pina, die ebenso antiquierte wie freundliche Signora, heißt uns am Eingang zum
museo
herzlich willkommen. Noch sind wir die einzigen Besucher. Die Rucksäcke werden deponiert, und los geht die kunsthistorische Exkursionstour. Es ist ein riesiges Areal mit mehreren Gebäuden, begrenzt von imposanten Mauern. Fast schon eine Minifestung. Im Wohn- und Geburtshaus des Künstlers kann man neben einigen
non-finiti
, also unvollendeten Werken, Nachbildungen oder Kopien bewundern. Die Familie muss wohlhabend gewesen sein, denn groß ist auch das einstöckige Haupthaus mit Küche, Speisezimmer und Schlafgemächern in epochengetreuer Meublage. Zwischen den Gegenständen des täglichen Gebrauchs immer wieder Skulpturen, Fragmente, Skizzen. Pecorino vor Davids Kopf, auf einem unbehauenen Marmorblock – und schließlich ruhend im Bett des großen Michelangelo. Erlaubt ist das zwar auch nicht, aber zumindest stellt sich diesmal nicht die Frage nach einem Sakrileg. Der Innenhof füllt sich jetzt mit einer deutschen Reisegruppe. Toskana-Touristen, keine Kunsthistoriker. Trotzdem gibt es einige verächtliche Blicke – was hat denn ein Hund im Museum verloren? Herrchen hat seine Arbeit getan, wir begeben uns zum Ausgang. Ob es denn hier schöne Unterkünfte für die
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