Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
ist im Kasten, der Autor ist auch wieder von seiner spirituellen Exkursion zurück, und wir können den Abstieg vom heiligen Berg beginnen. Über uns der mächtige Monte Penna mit dem Felsenkloster, talwärts die 3000 Einwohner zählende Ortschaft Chiusi della Verna. La Forestiera, eine sehr komfortable Pilgerherberge im Fels direkt neben dem Kloster, ist restlos ausgebucht. Schade. Und die einfachen Pilgerunterkünfte innerhalb der Klostermauern kommen für uns ohnehin nicht in Frage. Moreno muss sich über solche profanen Dinge keine Gedanken mehr machen. Für ihn ist die Pilgerreise in La Verna zu Ende. Er wird die Nacht schon bei seiner Familie in Piacenza verbringen. Ein letztes Foto, ein letztes, intensives Streicheln und die herzliche Verabschiedung von meinen Begleitern. „Ciao amici! Pax et bonum!“ Wir müssen nun wirklich im Dorf eine Bleibe für die Nacht finden.
Eine Herausforderung, wie sich zeigen sollte. Denn während oben am heiligen Ort Pilger und Tagestouristen für reges Treiben sorgten, herrscht hier, im zwei Kilometer entfernten Chiusi, Totenstille. Es ist eben noch nicht Sommer. Laut Touristenführer gibt es einige schöne Hotels und Pensionen. Laut unserer eben gemachten Erfahrung haben die Unterkünfte erst ab Ende Mai geöffnet. Direkt an der Straßenkreuzung Arezzo/Bibiena werden wir doch noch fündig. Da steht er, der riesige Steinklotz aus dem vorigen Jahrtausend, unser Hotel. Just in diesem Moment befällt uns ein grauenhaftes Déjà vu, als wir den Namen der
pensione
erblicken: Bella Vista. Schlimmer kann es nicht kommen, oder? Doch diesmal hat Franziskus oder irgendein anderer Heiliger für uns gebetet. Zwei schöne Zimmer, warmes, ausgezeichnetes Essen und angenehme Betten garantieren mir und meinen Begleitern nach einem ereignisreichen Tag die verdiente, erholsame Nachtruhe.
Sechste Etappe:
Chiusi della Verna bis
Caprese Michelangelo 21 km
Dass Bella Vista nicht gleich Bella Vista ist und Hotelsterne manchmal nur der Fantasie wilder Gastrokritiker entspringen, können meine Mitpilger beim heutigen Frühstück wohl am besten beurteilen. Meinen Pfoten geht es blendend, und wir machen uns gut gelaunt auf den Weg. Die Einsiedelei Casella und natürlich das Etappenziel Caprese mit dem klingenden Beinamen Michelangelo sind die Highlights des heutigen Tages. Weltweit ist Caprese zwar eher für den köstlichen
primo piatto
aus Frischweichkäse, Tomaten, Basilikum und Olivenöl, unter Gourmets als „Mozzarella con pomodoro“ oder eben „Insalata Caprese“ bekannt, aber man sollte auch wissen, dass Michelangelo Buonarroti hier gelebt und gewirkt hat.
Zunächst aber machen wir eine ganz andere Entdeckung. Chiusi della Verna wird mit jedem Schritt schöner und reizvoller, je weiter wir von unserem Hotel bergab ins mittelalterliche Zentrum wandern. Eine kleine romanische Kapelle, die befestigten Stadtmauern und direkt in der Kurve der Via Michelangelo ein pompöser, steinerner Brunnen, die Fontana Campari. Schon stehe ich an seinem Rand, und die Kamera klickt. „Campari ora Campari“ steht in Granit gemeißelt. Antik sieht er aus, der Brunnen, aus dem reinstes Gebirgswasser fließt. Dabei ist sie relativ neu, die raffinierte Werbeskulptur für den berühmten italienischen Aperitif, der seit dem Jahr 1860 mit Orangensaft und Soda serviert wird. Davide Campari, Sohn von Firmengründer Gaspare und Marketinggenie, hatte 1936 den Art-Déco-Bildhauer Giuseppe Grencho beauftragt, in Form von stilisierten Zeitungsinseraten insgesamt zwölf Brunnen zu entwerfen. Steinernes Product-Placement mit dem Charakter politischer Propaganda der Mussolini-Ära inmitten antiker Architektur.
Das Pilgerdasein hat uns wieder, die Straßen werden zu engen Feldwegen, und die Steigung nimmt zu. Links und rechts kleine Höfe. Harmonisch und friedlich, wäre da nicht in regelmäßigen Abständen dieses ohrenbetäubende Gebell. Ja, nicht jeder meiner Artgenossen darf so ein Hundeleben führen wie ich. Unzählige Hundezwinger liegen am Wegesrand. Brüder und Schwestern,
cani di caccia
, die nur in Zeiten der Jagd aus den engen Gitterkäfigen oder von den Ketten befreit werden. Arme Schweine, diese Hunde. Wie hab ich’s doch gut! Da nimmt man gerne eine 300-Kilometer-Pilgerreise, das ständige Klicken der Kamera und den späteren Ruhm auf sich. Eigentlich bin ich ein glücklicher Hund.
Es ist schwül. Die Hochebene vor dem Monte Foresto bietet einen grandiosen Panoramablick auf die Hügelwelt rund um Chiusi und
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