Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Minuten, wieder am Palazzo Communale angelangt. Ein Einheimischer wusste schließlich, was uns die Stadtinfo nur vage beschrieben hatte.
Entzückend, beinahe kitschig ist es, das kleine, feine Hotel direkt an der Stadtmauer. Es ist spät geworden. Die abendliche Duschaktion und dann ein Bier im Gastgarten vor der Herberge sollen die Laune meiner Mitpilger heben und Klarheit über unsere weitere Vorgehensweise schaffen. Meine Pfoten werden erneut inspiziert. Ich fühle mich wohl, Herrchen sieht die Situation doch etwas kritischer. Ist unser Projekt gescheitert? Schafft es der arme Hund? Durch ein weiteres Bierchen lässt sich die Frustration vorerst wegspülen. Dennoch ist die Stimmung etwas gedämpft. Auf das Abendessen wird heute verzichtet. Man will nicht mehr gehen und suchen, ich auch nicht. Eine extra dicke Schicht Hirschtalg wird auf meinen Pfoten aufgetragen in der Hoffnung auf eine wundersame Heilung über Nacht. Dieser Tag gehört der Vergangenheit an – der morgige kann eigentlich nur besser werden.
Neunte Etappe:
Città di Castello bis Pietralunga 32 km
Acht Stunden Schlaf haben gut getan. Der erste Gedanke meiner Begleiter gilt heute nicht dem Wetter oder dem Frühstück, sondern mir. Gut so. Das Beten dürfte geholfen haben: Meine Pfoten sehen aus wie neu. Ich fühle mich wohl und voller Tatendrang. So ganz will man mir aber diese schnelle Genesung nicht abnehmen. Weitere Schonung wäre sinnvoll. Beim Frühstück wird konferiert. Die ersten Kilometer der Etappe nach Pietralunga sind – laut Auskunft des Wirtes – wieder steinig und steil. Die Entscheidung fällt abrupt: Wir werden diese Teilstrecke mit einem Taxi zurücklegen und versuchen, die restlichen 20 Kilometer behutsam zu wandern. Der Taxler kündigt sich durch schrilles Hupen an. Wir sind in Italien. Hier hupt man aus Freude, Begeisterung und um sich bemerkbar zu machen, kaum aus Aggression, wie auf unseren heimischen Straßen. Vor dem Eingang steht ein weißer Mercedes Kombi. Dunkel getönte Scheiben, drinnen schwarzes Leder, schwarzer Teppich. Eine in dieser Gegend eher auffällige Nobelkarosse. Davor steht Bruno, der Fahrer. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, dunkle Sonnenbrille. Man fühlt sich in eine Filmszene aus
Der Pate
oder
Allein gegen die Mafia
versetzt, Palermo mitten in Umbrien. Toni holt blitzartig und völlig unaufgefordert meine Hundedecke aus dem Rucksack. Wer weiß? Ich darf mich im Fond auf der blitzblanken Gummimatte platzieren. Signor Bruno ist wider Erwarten freundlich und entspricht so gar nicht seinem klischeehaften Äußeren. Eine günstige Ausstiegsstelle am höchsten Punkt der Anhöhe und ein ebensolcher Preis werden ausgehandelt. Die gut ausgebaute Bergstraße bahnt sich ihren kurvigen Weg durch das Hügelland. Bruno ist ein routinierter Chauffeur, sanft gleitet er die Serpentinen hinauf. Am Rückspiegel baumelt ein Rosenkranz mit Kreuz. Im Radio tönt die gedämpfte Musik eines Regionalsenders. Da taut Bruno auf und beginnt über seine Erlebnisse mit Pilgern zu erzählen. Ja, in der Hochsaison würde er zweimal am Tag und öfter genau diese Fahrt machen. Die steile Asphaltstraße werde von sehr vielen Glaubens- und Pilgergenossen in der Hitze gemieden beziehungsweise „umfahren“. Bruno grinst uns verständnisvoll an.
Wenige hundert Meter vor der Bergkuppe bremst Bruno sein Taxi abrupt ab. Endstation. Die banale Erklärung: Exakt hier ende die asphaltierte Straße, und er wolle sein blitzblankes Gefährt nicht den Kieselsteinen der staubigen Schotterpiste aussetzen. Schlecht für den Lack. Das nennt man konsequent. Dass wir Signor Bruno um ein gemeinsames Foto bitten, bedarf keiner weiteren Erklärung. Diese Szene muss einfach für die Nachwelt eingefangen werden: schneeweißes Taxi, ein vermeintlicher Mafioso wie er im Buche steht, ein weißer Hund mit schwarzen Flecken und all das inmitten der blühenden, sattgrünen Natur. Ein Foto wie dieses kann man nicht inszenieren. Taxler Bruno streichelt mich, steigt in seinen Mercedes, wünscht uns ganz pilger-affin „pax et bonum“ und wendet seinen Wagen gekonnt, natürlich auf dem asphaltierten Teil der Straße, ohne nur ein Steinchen vom schädlichen Rollsplitt berührt zu haben. Auch filmreif.
Für uns beginnt nun wieder der Alltag in der sanfthügeligen und sehr grünen Natur in Alto Tevere Umbro. Nichts weist auf meine gestern noch so angeschlagenen Pfoten hin. Ich laufe und laufe, wie immer. Satte Wiesen am Wegesrand, ab und zu ein
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