Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Pilgerweg. Ein Abbruch so nahe vor Assisi, dem Ziel, käme einer mittleren Katastrophe gleich. Selbst ich komme ins Zweifeln, und dabei wollte ich doch meinem Herrchen etwas beweisen. Beweisen, dass ich es noch kann und auch schaffen werde.
Bei Kaffee und Kuchen und ein paar Kugeln
gelato
wird beraten. Die nächste Etappe von Sansepolcro nach Città di Castello wird peinlich genau unter die Lupe genommen. 30 Kilometer hätten wir am morgigen Tag zurückzulegen. 30 Kilometer wieder vornehmlich entlang des Tibers auf schottrigen, kleinen Straßen, kein Unterschied zu heute. Kaum ein interessantes Fotomotiv, kaum ein schattiges Plätzchen. Nicht zu schaffen mit wunden Pfoten. Da fällt die schwere, aber notwendige Entscheidung – und diesmal haben sich meine Begleiter nicht auf Hape Kerkeling rausreden müssen: Wir setzen die Etappe mit dem Zug fort – und zwar noch heute.
Der Espresso schmeckt plötzlich besser, und mein Wasser mutiert zum besten Nass, das ich je getrunken habe. Die Stimmung steigt. Flugs hat Herrchen die nötigen Fahrplanauskünfte besorgt. Es bleiben uns noch anderthalb Stunden. Stellt sich nur die Frage: Wie kommen wir zum fehlenden Etappenstempel für unsere Pilgerpässe? Die Kirche, der Pfarrer. Nebenbei soll es hier auch noch ein schönes, altes Benediktinerkloster mit Reliquien vom heiligen Agostino geben. Dort sollte man doch auch einen Pilgerstempel bekommen. Herrchen macht sich auf den Weg. Das Zentrum ist nicht weit, und ich begleite ihn. Der Schreiber ist zu erschöpft und wartet auf uns in der kleinen Café-Bar beim Bahnhof. Er hütet die Rucksäcke. Die Gewissheit, heute nicht mehr viel laufen zu müssen, lässt mich die geschundenen Pfoten gänzlich vergessen. Ein Foto hier, ein Foto da und schließlich die ersehnten Stempel nicht pilgergerecht in der Kathedrale, sondern in der Touristeninfo. Offenbar hält auch der Herr Pfarrer ausgiebig Siesta.
Zurück am Bahnhof wird es etwas hektisch. Schnell die Karten kaufen, und schon rollt er ein, der rettende Zug nach Città di Castello. Ich bezahle wieder einmal nichts. Öffentliche Verkehrsmittel in Italien erweisen sich immer mehr als Eldorado für uns Hunde. Ganz legal ist das nicht, aber der Billeteur hat eben wieder einmal ein Auge zugedrückt. Der Regionalzug ist spärlich besetzt. Die Scheiben sind teilweise undurchsichtig, innen wie außen mit Graffiti besprüht, auch ein gravierender Unterschied – aber dafür reise ich gratis. Draußen ziehen die Umrisse von Orten wie Gabriellone, San Giustiono oder Selci-Lama an uns vorbei. Drinnen genießen wir die Entspanntheit im grellen 1970er-Jahre-Ambiente mit schockfarbenen, orange-rot-gelben Polsterbezügen. Dass wir die Grenze zwischen der Toskana und Umbrien in Gabriellone längst überfahren haben, wird uns erst beim späteren Blick auf die Landkarte bewusst. Der Reiz der lieblich-sanften Toskana ist ohnehin längst verflogen.
Zwanzig Minuten dauert die erholsame Pilgerfahrt in der Eisenbahn. Das Touristenbüro in Città di Castello liegt mitten im alten Zentrum innerhalb der befestigten Stadtmauern. Es herrscht reges Abendtreiben in den engen Geschäftsstraßen mit unzähligen kleinen Boutiquen und Designerläden. Unsere Gedanken gehen allerdings weniger in Richtung Shoppen, eine Unterkunft für die Nacht muss her. Die Fußgängerzone ist stark befahren – von Autos. Italien eben! Eine Möpsin himmelt mich an, wird brutal weitergeschleift von ihrem Frauchen. Es bleibt kaum Zeit zu sagen, woher ich komme und wohin ich gehe. „Ciao bella!“ Die Menschen hier sind jung, gut gekleidet und hübsch anzusehen – vor allem die weiblichen, wie meinen Begleitern auffällt. Kein Wunder, ist es doch die Geburtsstadt der Leinwandschönen Monica Bellucci. Die Bars und Cafés füllen sich. Smalltalk und fröhliches Gelächter beherrschen die Piazza vor dem Palazzo Communale und dem alten Stadtturm aus dem 14. Jahrhundert. Ich begleite Toni zur Touristeninfo. Eine Gruppe deutscher Rucksacktouristen, vielleicht auch Pilger, verlässt gerade das
ufficio
. Einige Telefonate mit hundekompatiblen Herbergen, und schon haben wir ein Hotel. Ganz leicht zu finden. Zweimal links, dann gerade und schon haben wir das Hotel Le Mura erreicht. „Keine fünf Minuten“, sagte man uns. Die Realität war wieder einmal eine andere. Vorbei am Dom Santi Florido – auf den Stufen schnell ein Foto –, am Palazzo Podestà – vor dem gewaltigen Holztor schnell ein Foto –, und da waren wir, nach guten zehn
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