Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
uns an, wo es langgeht. So lange, bis eine alte Brücke jegliches Weiterkommen verhindert. Längst sind wir nicht mehr die Einzigen hier unten am Fluss. Tausende Gelsen umschwirren uns. Blutsauger, die selbst vor mir nicht haltmachen. Grauenhaft. Rauf die steile Böschung, rein in das Areal eines Bauhofes. Am anderen Ende des Lagerplatzes können wir jene Hauptstraße wiedererkennen, die wir gerade umgehen wollten. Nur ein kleines Hindernis wäre da noch: ein zwei Meter hoher Stacheldrahtzaun. Zurück wollen wir nicht, also wird geklettert. Zuerst der Autor, dann fliegen die Rucksäcke, dann werde ich nachgereicht, und schließlich übersteigt Herrchen das rostige Stachelmonster. Wir landen mitten im Graben der verkehrsreichen Straße. Schweißgebadet und verdreckt. Wir fühlen uns wie Eindringlinge und werden mit den schmutzigen Klamotten, dem staubigen Fell, den Rucksäcken und unseren enttäuscht-grimmigen Minen auch dementsprechend von Passanten gemustert. Ein Dialog zwischen hehren Pilgergedanken und der plötzlich hereingebrochenen Zivilisation kann nicht aufkommen. Einen Kreisverkehr queren wir im Laufschritt, die Autostrada E 45 nach Florenz umgehen wir unterirdisch via
sottopassaggio
, einer Unterführung.
Sansepolcro, das Ortsschild sagt uns, wir haben es geschafft. Der Durst und die Anstrengung des eben Erlebten lassen uns an einem kleinen Kiosk haltmachen. Viel Wasser,
due Espressi
und natürlich eine Beruhigungs-Entspannung-Sucht-Zigarette für den Schreiber müssen her. Alle drei sind wir erschöpft und müde. Nur der Verkehrslärm und ab und zu ein Passant stören die stille Rast auf den klapprigen Uraltstühlen im improvisierten Kiosk-Schanigarten. Schlafen, ruhen, die angegriffenen Pfoten schonen. Da entdeckt Herrchen durch eine Hecke hindurch ein geniales Motiv. Eine alte, über und über mit bunten Graffiti kunstvoll besprühte, ausrangierte Zuggarnitur rottet da auf einer aufgelassenen Gleisanlage vor sich hin. Also: Showtime. Pecorino davor, drinnen, aus dem Waggonfenster blickend. Ein abgefahrenes Motiv. Herrchens Begeisterung über die gelungenen Fotos ist groß, doch da bemerkt er, dass ich hinke. Zurück zum Autor, der sich mittlerweile beim dritten Espresso und ebenso vielen Zigaretten entspannt hat. Kurze Lagebesprechung, ein letzter Schluck aus dem bereitgestellten Wassernapf, und weiter geht’s in Richtung Bahnhof. Meine Begleiter sind der Meinung, dass ich Ruhe, Schonung brauche und die höchst nötige Hirschtalgbehandlung meiner Pfoten. Auch ein Hotel für die Nacht muss noch gefunden werden.
Am Weg zur
stazione
kann ich plötzlich die konzentrierte Witterung verschiedenster Artgenossen aufnehmen. Und schon stehen wir davor, vor dem nächsten, etwas absurden Fotomotiv: einem gänzlich in Pink gehaltenen Hundesalon. Grauenhafte Vorher-nachher-Abbildungen von mehr oder weniger gequälten Zeitgenossen, vom grässlich auftoupierten Königspudel unter der Trockenhaube bis hin zum frisch getrimmten, tropfnassen Zwergpinscher in der Luxusbadewanne zieren großflächig die Auslagen des animalischen Schönheitstempels. Bei so viel menschlichem Unfug beginnt abgesehen von meinen Pfoten nun auch noch meine Hundeseele zu leiden. „Cucciolandia“, in Anlehnung an die beliebte, italienische Comicserie über Haustiere, steht in rosaroten Lettern über dem Geschäftslokal. Angeboten wird professionelle „toelettatura per vostri cani e gatti“ – also ein Rundumprogramm für Hunde und Katzen. Zum Jaulen! Der Laden ist, Franziskus sei Dank, geschlossen. So bleibt es bei ein paar Bildern vor der abscheulichen Fassade, und niemand kann auf die liebevolle Idee kommen, mir womöglich ein wohlriechendes Hundeshampoo von Chanel, ein Regenmäntelchen von Prada oder ein Hundeduftwässerchen von Armani zu kaufen.
Es ist 16.30 Uhr. Die altmodische Bahnhofshalle ist menschenleer. Im Café gegenüber der
stazione
machen sich meine Mitstreiter ernsthafte Gedanken, wie es heute und überhaupt im Leben weitergehen soll. Meine Pfoten werden inspiziert. An den Vorderläufen hat sich das kräftige Schwarz der Ballen in zartes, brüchiges Rosa verwandelt; zu spitz waren die Steine, zu lange die Etappe auf Kies. Ich jammere nicht, nie, darum ist man jetzt umso überraschter über das Ausmaß. Eine böse Überraschung für meine Freunde, denn die Pilgertour ist erstmals ernsthaft gefährdet. „Tapfer ist er und so brav!“, beruhigen sie mich, während ich an meinen Pfoten lecke. Was tun? Ohne fitten Hund kein
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