Pedro Juan Gutiérrez
schließlich ein paar Worte von sich:
»Jahrelang habe ich auf Robespierre gewartet. Jetzt warte ich auf nichts mehr.« »Wer ist Robespierre. Dein Sohn?« »Ach, trink deinen Rum und sei still.« »Das Leben hat mich kaputtgemacht.« »So ist das nun mal. Entweder macht das Leben dich oder du machst das Leben kaputt.« »Mir bleibt kein Ausweg, alter Mann.« »Das Leben hat deinen Stolz kaputtgemacht. Scheiß auf deinen Stolz und erwarte nichts mehr.«
»Und was soll ich tun? Die Mülleimer durchwühlen wie du?«
»Warum nicht? Man darf keinen Stolz haben, er bringt einen um.«
»Du bist ein altes Schwein, noch dazu ein schwarzes.« »Und du bist eine alte Sau, noch dazu eine weiße, darum hast du auch von nichts eine Ahnung.« »Ach nein. Ihr Schwarzen habt mehr Ahnung?« »Natürlich. Wir wissen viel mehr. Über alles.« »Scher dich zum Teufel.«
Clotilde nahm die Flasche wieder an sich, obwohl nur noch wenig Rum in der Flasche war. Sie ging hinaus, wollte sich aber nicht allein in ihrem elenden Loch verbarrikadieren, also setzte sie sich im Flur auf den Boden vor ein riesiges Loch, das in der Mauer klaffte. Hindurch sah man das dunkle Meer. Die Nacht war still, auf dem Malecón wenig Verkehr. Man konnte hören, wie sich die Wellen am Ufer brachen und salzige Gischt über die Stadt versprühten. Sie trank, ohne an etwas zu denken. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, zu trinken, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, mit völlig leerem Kopf.
Sielratten
Ich hatte einen ekligen Job, aber mir ging's dabei nicht schlecht. Ich zog mit einem Schraubenschlüssel durch Havannas Zentrum und reparierte verstopfte Gasleitungen. An dem Tag ging ich in einen dieser dreckigen Keller des Viertels, voll mit modernden Brettern, fauligen Wasserlachen und dem Gestank nach Scheiße. Ein schmutziger alter Mann erklärte mir, er sei der »Verantwortliche« für das Gebäude. Wir hatten keine Taschenlampen, und es gab keine Glühbirnen. Der Alte stand neben mir und zündete Streichhölzer an.
»Wir müssen eine Glühbirne auftreiben, denn wenn Sie weiter Streichhölzer anzünden, fliegen wir in die Luft.« »Nein, nein, das geht schon in Ordnung.« »Was heißt hier, nein, nein, Señor? Ich verrichte hier meine Arbeit und weiß, wovon ich rede.«
»Nein, Jungchen, du musst nur verstopfte Gasleitungen säubern.«
»Sie sind ein alter Narr. Ich sehe zu, dass ich hier raus-komme.«
Wir befanden uns im hintersten Teil des Kellers. Ich drehte mich um, um mich zurück zur Tür zu tasten, da trat ich auf ein vermodertes Brett, unter dem die Ratte hervorsprang. Unter dem Druck meines Fußes, der sie fast zerquetschte, griff sie mich rasch und böse an. Ich spürte, wie sich ihre Krallen an meinem Körper festklammerten, und sie biss mich wütend in Bauch, Brust und Hals, zerkratzte mir das Gesicht und verschwand.
Mir blieb überhaupt keine Zeit zu reagieren. Nie zuvor hatte ich etwas so Ekelhaftes auf mir gespürt. Die Bisse und Kratzer taten mir höllisch weh, und ich geriet in Panik und lief im Dunkeln zur Tür. Der Alte wusste nicht, was passiert war, und blieb zurück.
Ich gelangte zur Tür, rannte die Stufen hoch und trat endlich wieder ans Licht. Die Ratte hatte mir auch noch in den linken Arm gebissen, der jetzt blutete und brannte, und hatte mich mit stinkendem Schlamm aus den Abwässern verschmiert.
Der Tag war mir gründlich vermasselt. Ich suchte sofort eine Klinik auf. Sie war voller trauriger alter Leute, die auf Bänken saßen und warteten. Ich erklärte ihnen, ich könne auf keinen Fall warten, bis ich an der Reihe sei, ich sei ein Notfall. Die Traurigkeit der Alten schlug in Aggressivität um. Sie waren nicht einverstanden und behaupteten, auch sie seien Notfälle und ich solle gefälligst warten, bis ich an die Reihe käme. Es war nur eine einzige Krankenschwester da, die langsam und lustlos arbeitete. Sie machte keinen guten Eindruck auf mich. Zwar war sie gut gewachsen, schlank, jung und mit schönem Arsch, aber ihr Kopf war eine Katastrophe: sie hatte ein Männergesicht mit fettiger, pockennarbiger Haut voller Eiterpickel, eine breite, schiefe Nase und fettiges, ungewaschenes, wirres Haar. Ich war entsetzt. So ein potthässlicher Männerkopf auf einem so schönen Körper. Lustlos verband sie mich und gab mir eine Tetanusspritze. Sie jammerte, sie habe Hunger und noch nicht gefrühstückt.
»Bekomme ich nichts gegen Tollwut?«
»Es gibt nichts.«
»Und wenn die Ratte Tollwut auf mich übertragen
Weitere Kostenlose Bücher