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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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versiegelt worden, und schließlich war eine neue, vielköpfige Familie eingezogen. Sie veranstalteten ziemlichen Radau, sprachen laut, zankten sich, schrien los, stritten sich und riefen einander durchs Treppenhaus, hörten laute Musik, lachten und tranken und tanzten bis in den frühen Morgen - sie waren nicht zu überhören. Zurzeit waren sie dabei, Wände einzureißen und neue Unterteilungen innerhalb ihrer Wohnung vorzunehmen. Sie sind so viele, dass sie nicht alle hinein-passen, obwohl die Wohnung relativ groß ist. Und doch werden es immer mehr, kommen jedes Jahr neue Kinder hinzu.
    Anfangs hatte Berta Angst vor ihnen, wich ihnen aus, versuchte ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie randalierten wie eine Zigeunertruppe, die alles, was ihr im Weg war, zertrampelte. Doch im Laufe der Monate freundete sich die Alte der Familie nach und nach mit Berta an. Sie grüßte, wechselte ein paar Worte mit ihr, kaufte Brot für sie ein, wusch ihr mal die Wäsche, brachte ihr ein anderes Mal einen Teller Milchreis oder schenkte ihr ein Stück Seife. Gelegentlich schickte sie eines der jungen Mädchen, damit es ihr die Wohnung sauber machte. Berta bemerkte es kaum, so langsam ging alles vor sich, ohne jede Eile. »Sie sind nette Leute«, sagte sich Berta und gab langsam das Misstrauen auf, das sie ihnen gegenüber gehegt hatte, als sie noch völlig allein war. Fast ständig war jetzt jemand da und leistete ihr Gesellschaft. Manchmal wusch ihr eines der jungen Mädchen das Haar mit Shampoo, manikürte sie, lackierte ihre Fingernägel, bereitete ihr ein lauwarmes Bad, brachte ihr ein paar Tropfen Kölnisch Wasser. Und in ihrer Wohnung mäßigten sie sich. Sie schrien nicht mehr, zankten sich nicht, stellten das Radio nicht zu laut, bemühten sich, sie nicht zu stören.
    Berta litt jetzt keinen so großen Hunger mehr und lief nicht mehr wochenlang ungewaschen herum. Außerdem gewöhnte sie sich wieder daran, mit anderen zu reden, und traute sich, ihre Balkontür zu öffnen. Die Trümmer sind nach wie vor vorhanden, aber die jungen Leuten bemerkten sie gar nicht. Sie sahen nur die Leute: den gutaussehenden Mann, der vorbeispazierte, und die Nutte, die noch im Abendkleid morgens um zehn nach Hause kam, und das hübsche, moder-ne Auto und das Hochzeitspaar in dem 57er Chevy Cabrio voller bunter Luftballons und die betrunkenen Alten an der Ecke.
    Die einfache Unbeschwertheit der Jugend übertrug sich auf Berta, und die Tage wurden für sie unterhaltsamer. Eines Morgens kam Omar. Er gehörte zu ihnen, war des einen Bruder, des anderen Cousin, ein Neffe der Alten. Woher stammte er? Wohnte er jetzt etwa auch im siebten Stock? Ja, aber er kam gerade aus einer anderen Stadt, gab nur vage, schwer verständliche Auskünfte. Die Alte hatte ihn als ihren Neffen vorgestellt.
    Omar war dreiundzwanzig, ein hübscher Bursche, dunkel, mit herrlichem schwarzem, zurückgekämmtem Haar, breiten Schultern, obwohl er sehr schlank war. Und er verstand zu reden, zu verführen.
    »Als junges Mädchen warst du bestimmt bildhübsch, das sieht man.«
    »Ja, ich war früher bildhübsch. Und das sieht man mir noch an?«
    »Natürlich, mit dieser feinen, gepflegten Haut.« Sie kramte Fotos aus ihrer Kindheit, ihrer Jugend und von ihrer Hochzeit hervor, wollte, dass er sah, wie hübsch sie gewesen war. Er war ein netter Kerl, inmitten all dieser Vulgarität, und er schmeichelte ihr.
    »Hätte es mich damals schon gegeben, hätte ich dich geheiratet. Ich mag elegante Frauen.«
    »Du hättest mich bestimmt nicht beachtet. Du wärst ein Dandy gewesen.«
    »Was ist das?«
    »Ein Dandy, ein Snob, ein Süßholzraspler, ein Frauenheld.«
    »Na, aber bestimmt hätten wir eine unvergessliche Liebesaf-färe gehabt.«
    Berta war so geschmeichelt, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Nach all den stillen Jahren der Einsamkeit war sie entzückt über die Komplimente dieses Märchenprinzen. »Ach, mein Kleiner, du könntest mein Enkel sein.«
    »Könnte ich, bin es aber nicht, Berta. Also denk nicht weiter daran, denk nur an schöne Dinge.«
    Omar arbeitete nicht, studierte nicht, tat nichts. Er besaß gerade einmal eine kurze Hose, ein Hemd, beides abgenutzt und verwaschen, sowie ein Paar abgetragene Gummisandalen. Er war die personifizierte Armut. Sein Traum war, in die Vereinigten Staaten auszuwandern und sich ein Leben in einer dieser kalten, verschneiten Städte aufzubauen, in denen man sich warm anziehen musste. Am liebsten würde er sein Geld als Lastwagen- oder

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