Pedro Juan Gutiérrez
Witwer von neunundvierzig, väterlich und elegant. Er versprach ihr den Himmel. Sie war entzückt von all dem Glanz, und sie heirateten fünf Tage später. Von da an war Bertas Leben ein Aufeinander-folge von Festen, Reisen und dolce vita: Mexiko, Puerto Rico, Miami, Caracas, New York.
Aber langsam ging alles zu Ende. Das Viertel war nicht mehr, was es einmal gewesen war. Es füllte sich mit vulgären Leuten aus den Provinzen, ungehobelten Schwarzen, mit schlecht gekleideten, schmutzigen, ungebildeten Menschen. Die Häuser begannen zu bröckeln, weil sich niemand um sie kümmerte, und wurden nach und nach zu Schlafstätten, in denen es von Menschen wimmelte wie von Kakerlaken, magere, schlecht ernährte, schmutzige, arbeitslose Leute, die zu allen Tageszeiten Rum tranken, trommelten und sich vermehrten wie die Karnickel. Es waren Menschen ohne Perspektive, mit engem Horizont, die sich über alles kaputtlachten. Worüber? Über alles. Niemand war traurig oder wollte sich umbringen oder befürchtete, dass die Mauern einstürzen und alle lebend unter sich begraben könnten. Nein, ganz im Gegenteil. Inmitten des Debakels lachten sie, lebten ihr Leben so gut sie konnten und schärften ihre Sinne wie die schwächsten und kleinsten Tiere, die ihre Energien zu konzentrieren lernen und verschiedene Fähigkeiten ausbilden, weil sie wissen, dass sie nie groß, stark und siegreich sein werden. In Trümmern geboren, versuchen sie nur, nicht aufzugeben und nicht allzu viele Schläge einzustecken, um am Ende nicht das Handtuch werfen zu müssen. Alles war möglich, alles erlaubt, ausgenommen die Niederlage.
Seit vielen Jahren lebte Berta allein. Sie hatte keine Kinder, hatte nur die hingebungsvolle Liebe eines einzigen Mannes kennen gelernt, den sie eher als einen Vater ansah, einen liebenswürdigen, gutmütigen Mann, mit dem sie nur wenige Male Sex gehabt hatte, kurz, mit geschlossenen Augen, fast beschämt, mit dem Wunsch, er möge so schnell wie möglich zum Ende kommen und von ihr heruntersteigen. Dabei war sie eine durchaus sinnliche, romantische Frau, die gern Die Kameliendame, Anna Karenina und Sturmhöhe gelesen hatte. Seit Jahren ließen ihre Augen kein Lesen, Stricken und Handarbeiten mehr zu. Doch jeden Nachmittag setzte sie sich hin und sah sich die Fotos der Zeitschrift La Familia an. Über die Jahre hatte sie eine wahre Sammlung angelegt, und sie betrachtete die Seiten mit den Handarbeiten, Strickmustern und Wollsocken. Gern sah sie auch langsam ihre Hochzeits- und Reiseaufnahmen durch. Sie lebte still vor sich hin und schwelgte in Erinnerungen. Ständig litt sie Hunger. Mit ihrer Witwenrente kam sie nicht über die Runden, und die wenigen Nahrungsmittel, die sie kaufen konnte, reichten vorne und hinten nicht. Oft dachte sie: »Diese Zeiten sind für junge, kräftige Leute. Es ist wirklich zu viel. Wir alten Menschen können hier so nicht überleben.« Aber weiter reichten ihre Gedanken nicht. Ihre analytischen Fähigkeiten waren nie geschult worden. Sie hatte ihrer nicht bedurft.
Auf die Weise kapselte sich Berta nach und nach immer mehr in ihrer Wohnung ab. Sie hatte Angst, hinunter auf die Straße zu gehen. Die Treppe wieder hochzusteigen, erschöpfte sie, und der Fahrstuhl funktionierte schon seit Jahren nicht mehr. Sie schaffte es gerade noch einmal im Monat zur Bank, um ihre Rente abzuholen. In den ersten Tagen zu Monatsbeginn brachte ihr ein junger Mann immer drei, vier kleine Beutel mit Lebensmitteln. Das war alles. Sie betete viel zur Virgen de la Mercedes und hatte sich an die Stille, den Hunger, an ihre Verhärmung und Armut gewöhnt und auch an das Eingeschlossensein in ihrer Wohnung, die jeden Tag mehr verkam, aus zwei Gründen: Sie hatte keine Dollars, um sich Waschmittel und Seife zu kaufen, und keine Kraft zum Saubermachen. Außerdem war es ihr auch ziemlich egal. Sie konnte ihr Haar nicht mehr bürsten, weil sie sonst ganze Büschel ausriss, und hatte Angst, kahl zu werden. Ihr Gebiss war immer noch intakt, nur drei Backenzähne hatte sie verloren. Und auch krank war sie nie. Inmitten des unaufhaltsamen Zerfalls dieses Stadtviertels gab es nie einen Stromausfall. Aus irgendwelchen technischen Gründen konnte man die Versorgung nicht kappen, um Energiekosten zu sparen. Und das war ein Segen, denn Berta hatte große Angst im Dunkeln. Sie schlief bei brennendem Licht.
Unter ihr im siebten Stock wohnten jetzt neue Nachbarn. Die alten waren nach Miami gezogen. Die Wohnung war ein paar Monate lang
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