Pedro Juan Gutiérrez
fahre allein, wenn er nicht rechtzeitig kommt.« Berta erhob sich aus ihrem Sessel, aber ihr wurde schwindelig, und sie stürzte zu Boden. Sie war ohnmächtig, aber noch am Leben, und rang nach Luft. Gegen drei Uhr morgens starb sie im Krankenhaus, ohne zuvor das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der Arzt wollte wissen, ob sie einen Schock erlitten habe. Omars Tante war die Einzige, die an Bertas Totenbett wachte. Die jungen Leute waren ihr zu laut, und sie wollte lieber allein sein. Sanft und bekümmert antwortete sie dem Arzt.
»Aber nicht doch, Herr Doktor! Wir haben uns sehr um sie gekümmert. Ich habe sie geliebt wie meine Mutter.«
»Sie starb an einer Gehirnblutung, von daher meine Frage.«
»Nein, nein, Herr Doktor. Sie führte ein ruhiges Leben. Wir ließen es ihr an nichts fehlen.«
»Wollen Sie, dass wir eine Autopsie vornehmen? So können wir die Todesursache genau bestimmen.«
»Ja, Herr Doktor, vielen Dank. Sie wissen, wie die Leute reden, und sie sind imstande, zu glauben, wir hätten sie vergiftet.«
My Dear Drum's Master
Ich hatte eine Taubenfalle auf dem Dach. Eigentlich waren es zwei Schachteln mit einem Lockvogel, um die ahnungslosen Vögel anzuziehen. Auf den Dächern ringsherum gab es viele Brieftaubenschläge.
Ich mag keine Aufzucht. Mein Ding ist viel einfacher. Jeden Tag fange ich ein oder zwei Tauben und verkaufe sie für zwanzig Pesos an einen Typen, der sie, wie er behauptet, für Santería-Kulte weiterverkaufte. Was weiß ich. Ist mir auch völlig egal, ob er sie brät und als Hühnerfleisch verkauft. Mein Ding ist, zu überleben. Es gibt keine Arbeit, schon gar nicht mit einer Gefängnisstrafe in der Akte. Damit verbringe ich also meine Tage. Ich halte meine Fallen instand und schicke den Lockvogel aus. Er ist ein starkes Männchen, aber ich habe ihn so oft herumgescheucht, dass er völlig erschöpft und halb verblödet ist und nicht mehr fliegen will. Oder vielleicht ist er einfach nur müde und kann nicht verstehen, was für ein Pech er hat: Er sucht sich ein Weibchen, bringt es in seinen Käfig, um zu balzen, und plötzlich ist es verschwunden, und er bleibt ratlos allein zurück. Die ersten Male hatte er sich ziemlich aufgeregt, war verzweifelt umhergeflattert, schien verrückt zu werden. Jetzt nicht mehr. Der kleine Kerl wird zwar traurig, aber ich lasse ihm keine Zeit für nervöse Depressionen und zwinge ihn, wieder zu fliegen, ein anderes Weibchen zu finden und herbeizulocken. Man darf den Lockvogel keinen Gefallen am Weibchen finden lassen, denn er kann sich innerhalb weniger Stunden verlieben und ist imstande, mit ihr durchzubrennen, ohne an sich selbst zu denken. So ist halt die Liebe, darum will ich auch keine um mich haben. Ich habe keine Zeit für solche Torheiten.
Eines Morgens war ich gerade dabei, die Fallen aufzustellen und den Lockvogel zu quälen, als lsabel mit zwei blonden Europäern, weiß wie Papier und mit blauen Augen, auftauchte. Die Frau war korpulent und sah gesund aus, aber der Mann sah aus wie eine wandelnde Leiche. Mich schauderte. Die beiden lächelten und sahen sich um. Sie schienen irgendwie verwundert, sich auf einer Dachterrasse mit Blick aufs Meer wiederzufinden.
»Pedro Juan, komm mal her, ich möchte dir ein paar Freunde vorstellen. Wir haben uns auf dem Malecón kennen gelernt.«
»Wann? Gerade eben?«
»Ja, vor kurzem.«
Die Frau sprach etwas Spanisch, der Mann kein Wort.
»Buenos días.«
»Buenos días. How are you.«
»Do you speak English?«
»Very bad. Do you speak Spanish?«
»Nur ein wenig.«
»A lot of English and a lot of Spanish is so much.«
»Ha, ha, ha, nette Geschichte.«
»Yeah. Do you need room or anything?« »Nein... vielmehr, vielleicht... maybe.«
»Aha. ..He is your husband, your partner?«
»He is my friend. Nur ein Freund. Er ist Musiker und Anthro-pologe.«
So radebrechten wir noch eine Zeit lang weiter. Der Typ sah von ihr zu mir und wieder zurück. lsabel unterbrach uns. »Auf dem Malecón haben sie mir erzählt, dass er trommeln lernen will, und ich habe ihnen gesagt, du seiest Trommellehrer.«
»Ich?«
»Ja, du! Sie bezahlen den Unterricht, verdammt! Du bist doch Trommellehrer!«
»Ach ja, klar... an der Trommel kann ich ihnen einiges beibringen... klar, warum nicht.«
»Der Schnellste sind wir heute gerade nicht, was, Schätz-chen?«
»Ja, verdammt, der Groschen fällt heute wirklich pfennig-weise.«
»Worüber sprecht ihr gerade?«, erkundigte sich Angela.
»Wenn ihr so
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