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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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Gays - Tag? Ich ging weiter. Kaum fünf Meter weiter stand ein Schwarzer, sah ihnen zu und wichste. Der Mann stand dem Meer zugewandt mit dem Rücken zu den Passanten und masturbierte fiebrig mit der linken Hand. Noch ein paar Meter weiter war eine weiße Frau, hübsch, ausgesprochen akzeptabel, und ließ den Schwarzen nicht aus den Augen, unschlüssig, brennend vor Begierde. Auf der Mauer sitzend, rutschte sie in kleinen Sätzen näher an den Mann heran. Nach Abschluss ihres Annäherungsmanövers würden die beiden bestimmt ihren Spaß haben.
    All das erregte mich nicht. Ich konnte mich beherrschen. Ich muss lernen, zu überleben, Schläge einstecken zu können und mich rasch wieder aufzurappeln, andernfalls würde man mich am Boden auszählen, und das war's dann. Man würde mich disqualifizieren.

 
     
Ein Tag, an dem ich erledigt war
     
    Eines Morgens lag eine erstochene Frau auf der Straße. Sie war eine bildschöne, große Mulattin in sehr kurzem schwarzem Rock, Bluse und einem weißen BH voller Blut. Hingestreckt lag sie auf dem Gehsteig inmitten einer großen Blutlache. Die Leute munkelten, sie hätte ihren Mann mit anderen Männern betrogen. So schlimm, dass der Typ nicht mehr anders konnte und sie niederstach. Dem vielen Blut nach zu urteilen, hatte er sich mit großem Hass auf sie gestürzt. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, Lippen und Nase zerschlagen, verschmiert mit geronnenem Blut. Es war schlicht ein Verbrechen aus Leidenschaft. Das gibt es überall auf der Welt. Nur würde man hier nichts darüber in den Zeitungen lesen, denn seit fünfunddreißig Jahren hält man es nicht für angebracht, Unangenehmes und Besorgniserregendes zu erwähnen. Alles hat in Ordnung zu sein. In einer Gesellschaft, die sich als Vorbild versteht, darf es keine Verbrechen oder hässlichen Dinge geben. Aber die Sache ist, dass man so etwas erfahren muss. Wenn man nicht über alles informiert wird, kann man nicht nachdenken, keine Entscheidungen treffen, sich keine Meinung bilden. Man verblödet und glaubt am Ende alles Mögliche. Deshalb war ich vom Journalismus so enttäuscht und fing an, krude Geschichten zu schreiben. In solchen herzzerreißenden Zeiten kann man keine feine Feder ansetzen. Wenn es um uns herum an Feinheit mangelt, ist es unmöglich, exquisite Texte zu formulieren. Ich schreibe, um andere ein bisschen aufzuschrecken und zu zwingen, die Scheiße zu riechen. Man muss mit der Schnauze auf den Boden gehen und die Scheiße riechen. Auf diese Art terrorisiere ich die Feiglinge und ärgere diejenigen, die alle, die kein Blatt vor den Mund nehmen, am liebsten zum Schweigen bringen würden.
    Ich konnte nicht länger schweigen und all den Blödsinn schreiben, für den man mich lobte. Die Spielregeln waren zu strikt. Man durfte nur ja sagen. Und das war die Mühe nicht wert.
    Ich pfiff auf alles und schrieb ein paar nackte Berichte. Meine Geschichten sollen mit nacktem Arsch mitten auf der Straße spazieren und dabei rufen: »Freiheit, Freiheit, Freiheit!«
    Eine Stunde lang stand ich auf dem Dach und sah der Polizei und den Schaulustigen zu, die sich um die Leiche scharten. Ich wohne vierzig Meter über der Straße, aber eine Nachbarin lieh mir ihr Fernglas, und so stand ich da, praktisch in der ersten Reihe, genauso krank und blutlüstern wie alle anderen, nur mit viel besserer Sicht. Viele der Schaulustigen spielten an dem Abend Lotto. Sie setzten auf die 50, die nach chinesischer Zahlensymbolik für die Polizei steht, die 67 für Erstechen, die 63 für Mörder, die 84 für Blut und die 12 für böses Weib.
    Dann las ich noch einmal, was Babel Konstantin Paustovsky über seine Schreibtechnik erzählt hatte. Eigentlich lese ich solche Bekenntnisse von Schriftstellern nicht mehr. Sie tun mir nicht gut, weil sie mir weismachen wollen, es gebe wirklich Methoden und Techniken. Nichts gibt es. Jeder Schriftsteller erschafft sich selbst, so gut er kann - ganz allein. Ohne auf fremden Rat zu hören. Das ist zwar qualvoll, aber anders geht's halt nicht. Aber das, was Babel sagt, ist gut. Na, jedenfalls fühlte ich mich durch die viele Arbeit ausgebrannt und brauchte eine Pause. Ich fuhr für ein paar Tage zu meiner Mutter. Sie lebt in einer Stadt nicht weit von Havanna. Dort wollte ich meine Batterien neu aufladen und dann in mein Zimmer auf dem Dach zurückkehren. Alles in allem bin ich doch glücklich dran.
    Gegen Mittag kam ich bei meiner Mutter an, aber sie war nicht da. Wahrscheinlich verkaufte sie gerade irgendwas,

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