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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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nach und sprang dann auf und lachte. Lauthals. Ein gutes Lachen, unnötig und absurd, ist ein Tonikum. Es wirkt bei mir immer. Noch besser, wenn es mir gelingt, ein paar Minuten lang tief von innen heraus zu lachen.
    »Jetzt gehe ich aus«, lachte ich und machte mich auf, einen Freund zu besuchen.
    Ich ging die Treppe hinunter. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1936 und imitierte zu seinen Glanzzeiten die prunkvollen Fassaden der Banken in Boston und Philadelphia. Die Fassade ist tatsächlich noch ganz gut erhalten, und die Touristen staunen und schießen Fotos. Es ist in allen Reiseführern abgebildet, vorzugsweise bei Sturm fotografiert. Ich habe eindrucksvolle Bilder gesehen, auf denen das Meer sich furios auf dem Malecón brach, im graublauen Licht der Zyklone, und die Gischt über das Gebäude fegte, über diese majestätische, herrliche Trutzburg, der Wind und Wogen scheinbar nichts anhaben konnten. Aber im Innern bröckelt es, dieses unglaubliche Labyrinth aus Treppen ohne Geländer, Dunkelheit, ranzigen Gerüchen, stinkend nach Kakerlaken und frischer Scheiße. Die Flure werden versperrt von illegal angebauten Zimmern und hallen wider vom Streit und den Raufereien der Schwarzen.
    Ich trat hinaus auf die Straße und bemerkte gegenüber ein uraltes Schild, das kaum noch zu lesen war. »Eine Revolution ohne Gefahr ist keine Revolution. Und ein Revolutionär, der nicht imstande ist, ein Risiko einzugehen, verdient nicht, dass man ihn ehrt.« Es stand kein Name darunter, klang aber nach Fidel oder Raul. An der Ecke war ein riesiges neues Plakat angebracht, auf dem in recht großen, farbig glänzenden Buchstaben stand:
    »Kuba, das Land mit Männern von Statur«. In einer Ecke lehnte ein schwarzer Athlet vor azurblauem Himmel. Ich kapierte kein Wort.
    Dann machte ich mich auf den Weg zu Hugo. Es war lange her, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Ich ging ein Stück zu Fuß, nahm dann einen Bus, danach noch einen. Schließlich kam ich in Cerro an. Hugo führte ein eher abgeschiedenes, zurückgezogenes Leben. Vor Jahren war er Fernsehtechniker gewesen und ein guter Freund von mir. Wir waren Arbeitskollegen. Dann ging ich weg, und wir verloren uns aus den Augen. Als ich ihn wiedersah, war er bereits verrückt. Man hatte ihm Elektroschocks verabreicht und hielt ihn mit einer ganzen Batterie von Beruhigungsmitteln unter Kontrolle, die er mehrmals am Tag einnehmen musste. Er war ein unglaublich scharfsinniger Typ, aber obsessiv. Eine solche Mischung ist tödlich. Sein Gesicht und seine Augen waren durch die Elektroschocks verzerrt worden, und seine Lider hingen schlaff herab. Noch einmal erzählte er mir die Geschichte vom Werkmeister, der ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte, als er erfuhr, dass Hugos gesamte Familie in Miami lebte. Ständig war er hinter ihm her, darauf aus, ihn bei der geringsten Regelwidrigkeit zu erwischen. Bei jeder Gelegenheit und ohne ersichtlichen Grund sagte er zu Hugo:
    »Wir alle hier sind Revolutionäre - für Verräter ist kein Platz.«
    Und Hugo bekam langsam Albträume von dem Kerl, bis er dessen Provokationen eines Tages nicht länger aushielt und mit dem Schraubenzieher auf ihn losging. Er stach ihm ein Auge aus und verletzte ihn schwer. Man sperrte Hugo in eine sehr enge Zelle zu zwei schwarzen Kriminellen, was er nicht vertrug. Schließlich wurde er verrückt. Tagelang schrie er mit Schaum vor dem Mund, bis man ihn in die Irrenanstalt brachte und ihm die ersten Schocks verabreichte. Sieben Jahre lang war er eingesperrt und wurde mit Elektroschocks behandelt.
    Na, jedenfalls konnte Hugo keinen Rum trinken, und ich brauchte unbedingt einen Schluck. Außerdem regte er sich immer ziemlich auf, wenn er mir die Geschichte erzählte. Immer, wenn ich ihn besuchte, war's dasselbe. Er rauchte in einer Stunde zwanzig Zigaretten, dann ging ich. Was sollte ich anderes tun? Ich konnte nur gehen und ihn in Ruhe lassen. Er hatte genug eigene Probleme. Ich nahm mir vor, nicht wiederzukommen.
    Ich hatte Hunger und war pleite. Es war Mitternacht. Havanna 1994. Auf der Straße waren kaum noch Leute. Ich schlenderte ohne Eile. Am besten würde sein, ich ging schlafen. Ich hatte Schlaf nötig. Ein Teil des Malecón lag völlig im Dunkeln, die Straßenlaternen waren abgestellt. Dort saßen zwei Frauen auf der Mauer und küssten sich stürmisch. Ihre Münder waren untrennbar verbunden, nichts anderes existierte für sie. Ich sah ihnen ein bisschen aus dem Dunkel heraus zu, blieb aber nicht stehen. War heute

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