Pedro Juan Gutiérrez
stumpfsinnig wie ein Deckstier. Zwei verliebte Mädchen aus dem Viertel ließen sich von ihm schwängern, und er hatte noch zwei weitere Kinder. Martica hielt es zwei Jahre mit ihm aus. Dann konnte sie nicht mehr. Sie ließ sich scheiden, schnappte sich ihre Tochter und zog nach Havanna zu einer einsamen, verbitterten Tante. Die Alte war gallig, unerträglich. Martica wollte schon aufgeben und in ihr Drecksdorf zurückkehren, als die Alte einem schweren Herzinfarkt erlag. Hallelujah. Als sie tot war, gedieh Martica.
Ich kehrte zurück in meine Dachkammer mit dem Gemeinschaftsbad im Zentrum Havannas. Es ist das ekligste Bad der Welt, das sich fünfzig Hausbewohner teilen, die sich vermehren wie die Karnickel. Die meisten von ihnen stammen aus dem Ostteil der Insel und kommen in Schwärmen nach Havanna, um der Armut zu entfliehen. In Guantánamo braucht man nur Polizist zu werden, sich nach Havanna versetzen (aus Havanna will niemand Polizist werden) und die ganze Familie nachkommen zu lassen. Und irgendwie schaffen sie es, in einem einzigen Zimmer von vier mal vier Metern zusammen zu hausen. Keine Ahnung, wie, aber sie kriegen es hin. Und im Bad staut sich die Scheiße bis unter die Decke. Nicht weniger als zweihundert Personen scheißen, pissen und baden täglich in dem Saustall. Ständig bildet sich davor eine Schlange. Sogar wenn man dringend scheißen muss, muss man sich anstellen. Viele Leute, so auch ich, haben darauf keinen Bock. Ich scheiße in ein Stück Papier und werfe das Päckchen aufs Dach eines niedrigeren Gebäudes nebenan oder auf die Straße, scheißegal. Grauenhaft, aber so ist's nun mal. Wenn man ganz unten ist, muss man lernen, damit umzugehen.
Deprimiert setzte ich mich aufs Bett. Es war schon fast dunkel und sehr still. Auf dem Regal standen ein paar Erinnerungen: Steine, Muschelschalen, Aschenbecher, Münzen, Lehmfiguren und ein Fußeisen von Sklaven, das ich einmal halb vergraben in der roten Erde einer Zuckerplantage in Matanzas gefunden hatte. Diese gusseisernen Fußschellen hatten einst die Knöchel eines Afrikaners wund gescheuert, die Fesseln eines unglücklichen Zuckerrohrschneiders. Niemand wird je erfahren, was für ein erbärmliches Leben unter Peitschenhieben der Mann auf den riesigen Zuckerrohrfeldern von Mantanzas geführt hat. Etwas war im Raum, das spürte ich. Ich hatte nicht die geringste Lust auf unerwünschte Gesellschaft. Ein eiskalter Schauer überlief mich. Ich rieb mir den Kopf mit etwas Alkohol ab. Dann nahm ich die Fußeisen, ging hinaus auf die Dachterrasse und warf sie weit von mir. Es war dunkel. Ich weiß nicht, wohin sie fielen. Ich rieb mir noch etwas Alkohol über den Kopf. Jetzt war ich wirklich allein. Die Luft um mich herum wurde leichter. Ich hatte Mühe, die Einsamkeit zu ertragen, mir selbst zu genügen. Immer noch glaubte ich, dies sei unmöglich oder unmenschlich.
»Der Mensch ist ein Gemeinschaftstier«, hatte man mir eingeimpft. Hinzu kam noch die tropische Hitze, mein südländisches Blut und das Mischerbe, und all das zog sich immer enger um mich zusammen wie ein Netz und machte mich unfähig zur Einsamkeit.
Das war mein Problem und auch mein Ziel: zu lernen, Freude an meinem Innenleben zu entwickeln. Das ist keine leichte Angelegenheit. Hindus, Chinesen, Japaner, alle tausendjährigen Kulturen haben einen guten Teil ihrer Zeit darauf verwandt, Philosophien und Methoden für das Innenleben zu entwickeln. Und dennoch bringen sich jedes Jahr Tausende Menschen um, erschlagen von der Wucht ihrer Einsamkeit. Denn es ist nicht etwa so, dass man die Einsamkeit sucht, sondern man wird nach und nach allein gelassen - und dagegen kann man gar nichts tun, nur lernen, damit zu leben. Man kommt in diese riesige Weite der Wüste und weiß überhaupt nicht, was zum Teufel man tun könnte. Oft glaubt man, das Beste sei die Flucht. Die Flucht in ein anderes Land, in eine andere Stadt, irgendwohin. Aber nie entkommt man. Dann wieder glaubt man, das Beste sei, nicht so viel über sich selbst und seine verdammte Einsamkeit nachzudenken, die sich noch zuspitzt, wenn man allein und ganz still ist. Also unternimmt man was. Man geht aus und besucht einen Freund oder eine Frau, mit der man ein bisschen Sex hat. Was weiß ich. Besucht irgend jemanden, um nicht allein zu sein, denn inzwischen weiß man, dass Rum und Marihuana einen noch mehr deprimieren können. Vielleicht hilft ein wenig Sex. Wenn nicht, zumindest die Gesellschaft eines Freundes.
Über all das dachte ich
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