Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
Vom Netzwerk:
zum Teufel er das machte. Wie eine Fliege. Plötzlich glänzte er schon wieder mit akrobatischen Kunststückchen auf der anderen Seite von Paseo und lachte. Laut lachend kam er zu uns zurück. »Ich bin Formel Eins!«
    Ich kassierte meine fünfunddreißig Dollar. Fünf gab ich Formel Eins und nahm ihn beiseite. Ich schüttelte ihm die Hände. Sie waren trocken und fest. Ich sah ihm in die Augen und fragte:
    »Hast du keine Angst?« Er zuckte die Achseln.
    »Soll das ein Witz sein, weißer Freund? Ich bin Formel Eins, Mann, Formel Eins!«
    An derselben Stelle waren zuvor vier junge Burschen ums Leben gekommen. Ich will gar nicht daran denken. Zwei andere hatten gar nicht erst den Mumm, es zu versuchen. So ist das Leben. Nur wenige kommen durch: die großen Stars und die Feiglinge.

 
     
Raus aus dem Käfig
     
    Ich fuhr aufs Land, kaufte Lebensmittel und brachte sie nach Havanna. Alles ließ sich hier verkaufen, von Knoblauch über Zitronen bis zum Rindfleisch, alles, was man kriegen konnte. Bei dem Bauern, den ich aufsuchte, lag ein totes Pferd im Hof. Der Bauch war schon ziemlich aufgequollen. Der Bauer schaffte es kaum, die Bande Männer zurückzuhalten, die mit Macheten, Messern und Säcken im Kreis drum herum standen und das Tier zerteilen und die Stücke mit nach Hause nehmen wollten. Eine wahre Hundemeute, acht magere, halb verhungerte, schmutzige, zerlumpte Schwarze mit wild rollenden Augen.
    Der Bauer erklärte ihnen, das Tier sei krank gewesen und würde schnell verwesen. Sie wollten nichts hören, forderten nur, dass er ihnen ein Stück rausschnitt und sie selbst würden anschließend auch den Kopf, die Hufe und was sonst noch übrigbleiben sollte, vergraben. Der magere Kadaver war übersät von grünen Fliegen, aus seinem Hinterteil kamen Würmer und Eiter.
    »Warum lässt du sie das nicht essen, und zum Teufel damit?«, fragte ich ihn.
    »Nein. Ich warte auf die Polizei. Wenn ich keine Bestätigung habe, dass das Vieh krank war, komme ich vors Gericht.«
    »Und danach?«
    »Danach können sie es meinetwegen aufessen. Mir scheißegal.«
    Ich fragte ihn, ob er Hühner habe, Eier, irgendwas. Aber er wollte einfach nur auf die Polizei warten, um das alles hinter sich zu bringen.
    »Siehst du auch, was ich sehe, Mann aus Havanna? Da halten wir die Angolaner für Wilde, weil sie geröstete Mäuse essen. Und die Äthiopier ihre vergammelten Kuhdärme. Jetzt sind wir dran. Hier gibt es nicht einmal mehr Katzen. Man hat sie alle aufgegessen. Finde mir eine Katze, und ich kaufe sie dir ab. Das Haus ist voller Ratten.« Mir schien, der Mann hatte ganz schön Schiss. Die Schwarzen waren aggressiv.
    Einen von ihnen kannte ich. Er hatte mir früher dabei geholfen, Bauern ausfindig zu machen, die Lebensmittel verkauften. Er und seine Familie hatten innerhalb weniger Jahre dreimal den Namen geändert und waren immer noch nicht zufrieden. Vor hundert Jahren trugen die Sklaven dieselben Namen wie ihre Besitzer. Sie wurden auf einen beliebigen christlichen Vornamen und dem Nachnamen des Besitzers getauft. Aber dieser Mann hier wusste nicht recht, welcher Familie seine Großeltern und Urgroßeltern angehört hatten. Noch weniger Ahnung hatte er, wo Nigeria oder Guinea lagen. Es war gerade mal hundert Jahre her, und alles war vergessen. Jetzt ging es nur noch darum, sich mit Weißen zu mischen, um »die Rasse voranzubringen«. Und sie haben nicht Unrecht. Mestizen sind den rein Schwarzen und rein Weißen haushoch überlegen. Die Mischung des Bluts ist eine gute Sache. Er war ein netter Kerl. Ständig lachte er. »Was machst du, Gener-Iglesias-Pimienta?«
    »Um Fressalien kämpfen, Mann aus Havanna.«
    »Das weiß ich. Dieses Pferd ist verfault. Lass es liegen.«
    »Nein. Wenn man es überm Feuer brät, macht die Fäulnis nichts.«
    »Weißt du, ob jemand Fressalien verkauft, mein Freund?« Er dachte einen Moment nach.
    »Ah ja, Carmelo, der alte Mann gegenüber. Gestern hatte er Frischkäse. Vielleicht ist noch was übrig.« Ich suchte Carmelo auf. Er hatte nichts mehr. Mit zwei Kühen kann man nicht viel herstellen. Die Leute hatten es ihm aus der Hand gerissen.
    Der Zug fuhr in Kürze. Ich hatte keine Zeit mehr, übers Land zu streichen. Es war unglaublich, aber wahr, ich kam mit leeren Händen zurück. Kurz nach sechs fuhr der Zug. Mit schläfrig baumelndem Kopf und halb verhungert verbrachte ich die ganze Nacht in diesem dunklen, dreckigen, nach Urin stinkenden Waggon, vollgestopft mit Hunderten von Leuten, die

Weitere Kostenlose Bücher